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Anthropologische Begründung von Krieg und Frieden

Vieles wurde in der Welt schon über den Krieg geschrieben, er ist nicht nur Gegenstand der ältesten Dichtung des Abendlandes, der Ilias Homers, nein, er erstreckt sich beginnend bei den antiken Geschichtsschreibern bis hinein in die Philosophie und Kriegstheorie der neuesten Zeit. Über ihn wurde sogar das geflügelte Wort verhängt, er sei der Vater aller Dinge. Doch sein Wesen ist bis heute kaum verstanden, außer daß er etwas moralisch Verwerfliches und daher grundsätzlich abzulehnen sei. Andererseits hat ihn die Evolution doch ausdrücklich hervorgebracht, also kann er schon aus diesem Grunde so sinnlos nicht sein, wie ihm oft nachgesagt wird. Es stimmt auch nicht, daß er nur Verlierer kennt, und keine Gewinner. Um dies verständlich zu machen, beschreiben wir Krieg und Frieden nachfolgend als vier Phasen eines anthropogenen Räuber-Beute-Systems. Denn die Natur kennt sonst kein zweites Beispiel für einen Fall, wo eine Art sich nahezu vollständig selbst ausrotten kann. Das liegt daran, daß der Mensch keine oder kaum natürliche Feinde hat. Denn Konkurrenz, Futterneid und Rivalität gibt es in der Natur auch, aber es ist keine Art bekannt, deren Individuen sich buchstäblich gegenseitig »auffressen« so wie der Mensch. Es gibt auch die These, daß der Krieg kein natürliches Regulativ sei, was die Begrenzung unserer Population betrifft, und daß Seuchen viel stärker unter den Menschen wüteten als jede Art von Krieg. Doch diese Argumentation steht auf tönernen Beinen, da sich kraft der menschlichen Intelligenz immer wieder Auswege abzeichnen, um einen Kriegsgrund aufzuheben.

Zunächst läßt sich bei einer militärischen Auseinandersetzung auch gar nicht beurteilen, wer Räuber und wer Beute ist, denn beide Parteien sind gerüstet, beide besitzen militärische Schlagkraft und beide können einen Kriegsgrund haben. Doch hinsichtlich ihrer Stärke gibt es meist einen Unterschied, denn eine beinah unumstößliche Regel besagt, daß immer der tatsächlich oder vermeintlich Stärkere den Schwächeren angreift, und nie umgekehrt. Wir werden daher aus gutem Grunde dem Aggressor die Rolle des Räubers zuweisen und dem Verteidiger die Rolle der Beute, was allerdings noch nichts über den tatsächlichen Ausgang des Kampfes aussagt. Der stärkere Gegner »frißt« (in der Terminologie des Räuber-Beute-Systems) mehr von seiner Beute, dadurch daß er mehr feindliche Soldaten ausschaltet als der andere. Auch wenn ein Feind getötet wird, wird er dadurch nicht unbedingt »gefressen«. Weil er aber als Nahrungskonkurrent ausgeschaltet wird, bleibt mehr für den Sieger, dessen Energiebilanz steigt, er kann sich dadurch besser fortpflanzen. Die eigentliche Beute in diesem System ist also nicht der Gegner, sondern es sind die gemeinsamen Ressourcen, um deren Erlangung oder Behauptung es immer dann geht, wenn sie für einen allein nicht ausreichen. Krieg ist also nichts anderes als ein ganz gewöhnlicher Konkurrenz- oder Überlebenskampf unter Rivalen. Die Art von Ressourcen, um die es dabei geht, sind stets lebenswichtige Güter oder Schätze, die der Angegriffene besitzt, der Angreifer hingegen nicht. Das kann Wasser sein, Land für Ackerbau und Viehzucht oder Bodenschätze wie etwa Metall und Erdöl. In den antiken Schlachten nahm man seinem Gegner auch das Bargeld ab, das dieser stets bei sich trug, weil es Banken, wie wir sie heute kennen, damals noch nicht gab. Auch der Mensch selbst war Beute, weil sich mit ihm ein ordentliches Lösegeld erzielen ließ und er selbst in die Sklaverei verkauft werden konnte. Der Sieger konnte außerdem über die Frauen des Unterlegenen verfügen und seine Gene dadurch weitervererben, während der Bezwungene sich einem vorzeitigen Tod ausgesetzt sah. Mit dem Wohlstand eines Volkes wachsen auch dessen äußere Feinde, weil Reichtümer Begehrlichkeiten wecken. Nach geschlagener Schlacht indes kann sich die Lage völlig gewandelt haben. Auch der Räuber sprich Aggressor kann in seiner Zahl dezimiert werden: Phase III des Räuber-Beute-Systems, in dem beide rückläufig sind. In Phase I mehren sich mit dem wachsenden Reichtum der Beutepopulation auch deren Feinde.  Anfangs nehmen die Aggressoren ihrem Beutevolk nur einen Teil seiner Ressourcen ab, der Schaden, der dem Angegriffenen daraus erwächst, kann sein anhaltendes Wachstum aber dennoch nicht bremsen. Solange die Feinde genügend Beute vorfinden, wachsen sie an ihr mit. Als beispielsweise die Germanen der Völkerwanderungszeit vom großen Reichtum der Römer erfuhren, fielen sie zuerst einzeln, dann immer geschlossener ins Römische Reich ein. In Phase II des Krieges nehmen dann die äußeren Feinde überhand, der Angegriffene wird erheblich in seiner Verteidigungskraft und durch seine Kriegslasten geschwächt. In dieser Phase erlebt der Angegriffene seine größten Verluste, während die Feinde siegreich und ohne nennenswerte Verluste auf das Gebiet des Angegriffenen vordringen. Dem Beispiel der Völkerwanderungszeit folgend, erstürmten die Germanen den Limes und brachten den Römern massive Verluste bei, so daß diese aus ihren vormals erworbenen Gebieten zurückweichen mußten. Die Population des Angreifers erreicht in dieser Phase ihr Maximum, während die des Angegriffenen auf ihr normales Maß zurückgeht. Phase III des Krieges ist dadurch gekennzeichnet, daß nunmehr auch die Aggressoren unter den Kriegsfolgen zu leiden beginnen und sich erschöpft haben, auch weil es für sie nichts mehr zu holen gibt. Rom ist niedergebrannt, die Verwaltung zusammengebrochen, Getreidelieferungen bleiben aus. Die Aggressoren haben ihre Beute, d.h. die umkämpften Ressourcen, buchstäblich »aufgezehrt«, ihr Zustand hat sich wieder normalisiert, womit auch ihre verbliebene Kampfkraft geschwunden ist. Phase IV schließlich beschreibt den Zustand, wo sich die Beute, d.h. der Angegriffene, langsam wieder erholt, während der Aggressor weiter hinschwindet, ehe sich das Spiel von neuem wiederholt. Ein Beispiel hierfür bieten die Gotenreiche in Italien und Spanien und das Vandalenreich in Nordafrika, die während der Völkerwanderungszeit entstanden sind, aber so sang- und klanglos wieder verschwanden, wie sie gekommen waren. Diese kürzeste Phase ist die des Friedens. Meistens geht der Eroberer im Eroberten auf und verliert dadurch an Kraft, vielleicht auch, weil er sich mit schlechteren Genen vermischt. Noch ein zweites Beispiel wollen wir anführen, das Dritte Reich.

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs ergreifen die Nationalsozialisten die Macht. Deutschland erstarkt, gemessen an den etablierten Kolonialmächten England und Frankreich, die im Verbund mit den Vereinigten Staaten quasi die Welt unter sich aufteilen. Aufgrund seiner Aufrüstung und wirtschaftlichen Stärke sieht sich Deutschland bald in der Lage, die ihm entstandenen Verluste aus dem Ersten Weltkrieg wettzumachen und stellt seine Reparationszahlungen, die ihm mit den Versailler Verträgen aufgebürdet worden waren, ein. Mit der einseitigen Aufkündigung des Nichtangriffspakts mit Polen und dem Hitler-Stalin-Pakt und einer gigantischen Aufrüstung endet die Phase I des Zweiten Weltkriegs. Phase II beschreibt das siegreiche Vordringen der Deutschen und der  Achsenmächte an nahezu allen Fronten, insbesondere den Rußlandfeldzug. Sie ist charakterisiert durch den Blitzkrieg in Polen, die Kapitulation Frankreichs, das britische Desaster bei Dünkirchen, den U-Boot-Krieg gegen die Amerikaner und das Vordringen des Afrikakorps unter Generalfeldmarschall Rommel bis nach Ägypten. Sie endet mit Stalingrad, der Gegenoffensive in der Normandie und dem Sieg der Alliierten bei el-Alamein aufgrund von Ressourcenmangel auf deutscher Seite. Phase III beschreibt den Rückzug der Deutschen von allen Fronten (mit dem Sinken der Bismarck, der Entwicklung des Radars durch die Briten und dem verlorenen See- und U-Boot-Krieg), das Vordringen der Amerikaner aus Westen, der Roten Armee aus Osten und den Angriffen alliierter Bombergeschwader aus Großbritannien auf zahlreiche deutsche Großstädte sowie dem Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki. In Phase IV der Nachkriegszeit leiden die Deutschen trotz Wirtschaftswunders vor allem an Geburtenmangel, während die übrige Weltbevölkerung stark ansteigt.

Natürlich stellt sich die Frage, warum Kriege überhaupt begonnen werden, wo man doch von Anfang an weiß, daß der Zyklus nach vertauschten Farben wie gewohnt weiterläuft. Nach Durchlaufen eines solchen Kreisprozesses findet man sich in der alten Rolle wieder. Wer anfangs Sieger war, wird irgendwann wieder zum Sieger. Wenn man genauer hinter die Kulissen schaut, dann will die Evolution scheinbar dauerhafte Gewinner, weil dies für die übrige Natur zur Konsequenz hat, daß immer resistenteres Leben entsteht und gleichzeitig die Artenvielfalt zunimmt. Genau das soll mit diesem Naturgesetz erreicht werden, weil ein dauerhaftes Überleben nur durch eine Entropiezunahme auf Kosten der Schlechteren möglich ist, egal, ob sie zu den Räubern oder zur Beute gehören. Evolution bedeutet, daß die Beute neue Strategien des Überlebens entwickeln muß. Erst dann ist der Räuber wieder am Zuge, sich ebenfalls erfolgreichere Methoden des Erbeutens einfallen zu lassen. Dieses Wechselspiel führt beide Arten zu immer weiterer Veredelung. Die Geschichte der Kriegswaffen und der jeweiligen Gegenmaßnahmen hat uns vom Faustkeil bis zu einem möglichen nuklearen Angriff mit Interkontinentalraketen geführt, gegen welche wiederum nur ein effektiver Raketenabwehrschirm erfolgversprechend ist. Auf Pfeil und Speer folgte die Erfindung des Schildes, auf den Angriff mit Schwertern das Tragen einer Rüstung. Gegen die Errichtung von Mauern brachte die Kriegsevolution das Katapult hervor, gegen Kanonen und Gewehrkugeln sollten entsprechende Forts und Panzer helfen. Gegen Bombardierungen schließlich wurde die Flak erfunden und gegen U-Boote das Radar. Nur der militärisch Überlegene kommt im Räuber-Beute-System einen Schritt weiter, um dem Gegner bei Angriff oder Verteidigung überlegen zu sein. Dieses Verhalten ist selbststeuernd. Intelligenz hat sich entwickelt infolge schmerzhafter Erfahrungen und ist an den Herausforderungen gewachsen. Die nächste Generation von Waffen werden autonome Maschinen sein, mit Waffen, die selbstauslösend schießen, auch wenn sich die Ethik noch nicht mit ihnen anfreunden kann. Konnte doch auch der Bau der Atombombe  nicht verhindert werden; sie wurde entwickelt, weil sie technisch möglich war. Nur wahre Notlagen zwingen den Menschen zu angepaßtem Verhalten, und daß diese Notlagen auch eintreten werden, dafür spricht der Mechanismus der Räuber-Beute-Systeme, die nicht von Gott ausgedacht wurden, sondern von der Natur höchstpersönlich, weil ihre Gesetze einer in sich selbst verankerten, immanenten Logik folgen, die der strengen Notwendigkeit gehorcht. Evolution ist notwendig, sonst gäbe es das Leben nicht, zu dem unabdingbar die Räuber-Beute-Systeme  gehören, da nur sie zur Erhöhung der Entropie beitragen können. Nach Durchlaufen eines kompletten Zyklus ist die Entropie angestiegen, das Leben selbst komplexer geworden. Eine Welt, die nur aus Pflanzenfressern bestünde, wäre nicht denkbar, denn wer würde dann für das Gleichgewicht in der Natur sorgen? Folglich muß es Räuber-Beute-Systeme schon gleich zu Beginn, als das Leben gerade anfing, gegeben haben. Wir haben also hiermit eine Antwort gefunden, warum die belebte Natur zu immer komplexeren Systemen greift und warum der Überlebenskampf eine Schlüsselrolle dabei spielt. Alles ist Krieg. Die Anpassung an die jeweilige Umwelt ist nicht die abschließende Antwort auf die Frage, warum es Evolution gibt, sie ist vielmehr durch die Anpassung an den Räuber seitens der Beute und an die verfügbare Beute seitens des Räubers zu ersetzen. Ein Tier wandert nicht freiwillig in die Kälte, wenn nicht seine Beute auch dorthin zieht. Der Neandertaler wäre niemals freiwillig in den Norden gegangen, wenn nicht zugleich die großen Mammutherden diesen Weg beschritten hätten. Die Eskimos kamen nicht deswegen ans Nördliche Eismeer, weil sie gerne froren, sondern wegen der Robbenjagd, die nur dort möglich ist, wo es kalt ist, und sonst nirgends.

Wenn Menschen Kriege führen, so tun sie das, indem sie sich zu einer Waffenbrüderschaft zusammenschließen, weil man gemeinsam stärker ist als der Einzelne. Sie wollen also durch kollektives Handeln eine schnelle Entscheidung herbeiführen und den Ausgang der Schlacht, der zu Beginn noch völlig offen ist, zu ihren Gunsten lenken. Meist ist mit einer siegreichen Entscheidungsschlacht auch der gesamte Krieg gewonnen. Würde die Menschheit den Krieg einstellen, wäre es mit ihrer Evolution vorbei, und diejenige Partei, die den Kampf um die Ressourcen aufgegeben hat, würde untergehen, aber es hätte immerhin den Vorteil, daß derjenige, der die umkämpften Ressourcen für sich behält, als der Bessere überlebt. In der Natur setzt sich nämlich tatsächlich der Stärkere durch. Das steht nicht im Widerspruch dazu, daß es auch unter den Siegern Gefallene gibt, die sehr gute Soldaten gewesen sein können. Der Mensch übersieht häufig, daß die Natur keine absoluten Aussagen trifft, sondern statistische. Das bessere Heer bzw. die bessere Population gewinnt, egal, wie viele gute Soldaten auf beiden Seiten dabei umkommen. Im Frieden kann man gar nicht beurteilen, wer der Bessere ist, weil hier nur die Fortpflanzungsrate der Beute- und die Sterberate der Räuberpopulation eine Rolle spielen. Das erklärt auch, warum Industriestaaten aufgrund ihrer massiven Überalterung und einer dementsprechend hohen Sterberate gegenüber Schwellenländern mit einer hohen Geburtenrate ein Problem bekommen werden: weil das natürliche Regulativ der Kriegshandlungen fehlt. Länder, die sich aufgrund ihrer militärischen Schwäche die Ressourcen nicht sichern können oder selbst keine haben, werden folglich von der Bildfläche verschwinden, es sei denn, sie denken in letzter Sekunde noch um. Es gibt allerdings auch die Variante, wo umgekehrt den Schwellenländern eine Art von Ressource fehlt, nämlich Arbeitsplätze. Solange also zwei Länder Ressourcen miteinander austauchen können, läßt sich der Krieg noch hinausschieben, da es ja stets nur auf die Nettoressourcen ankommt. Durch die beiden gekoppelten Räuber-Beute-Systeme Rohstoff gegen Arbeit ist also die Kriegsgefahr keineswegs gebannt, weil durch den Waren-Dienstleistungstausch der Rohstoffbedarf noch weiter ansteigt, bis das Pulverfaß, welches man Wachstum nennt, irgendwann explodiert. Auch die Kunst des politischen Verhandelns im Bereich der Wirtschaft ist Teil einer Evolution und Friedenssicherung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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