Dieser teilte uns nun eine Sage aus alter Überlieferung mit, welche du auch jetzt diesem Freunde berichten magst, Kritias, damit er mit uns prüfe, ob sie unserer Aufgabe angemessen sei oder nicht.

KRITIAS: Das muß ich wohl tun, wenn auch unser dritter Genosse, Timaios, derselben Meinung ist.

TIMAIOS: Gewiß bin ich es.

KRITIAS: So vernimm denn, Sokrates, eine gar seltsame, aber durchaus in der Wahrheit begründete Sage, wie einst der weiseste unter den Sieben, Solon, erklärte. Dieser war nämlich, wie er selbst häufig in seinen Gedichten sagt, unserem Urgroßvater Dropides sehr vertraut und befreundet; der aber erzählte wieder unserm Großvater Kritias, wie der alte Mann wiederum uns zu berichten pflegte, daß gar große und bewunderungswürdige Heldentaten unserer Vaterstadt aus früher Vergangenheit durch die Zeit und das Dahinsterben der Menschen in Vergessenheit geraten seien, vor allem aber eine, die größte, durch deren Erzählung wir dir wohl uns auf eine angemessene Weise dankbar zu bezeigen und zugleich die Göttin bei ihrem Feste nach Gebühr und Wahrheit wie durch einen Festgesang zu verherrlichen vermöchten.

SOKRATES: Wohl gesprochen! Welches ist denn aber die Heldentat, von welcher Kritias als von einer nicht bloß in einer Sage erhaltenen, sondern einst von unserer Vaterstadt wirklich, wie Solon vernommen hatte, vollbrachten erzählte?

KRITIAS: Ich will eine alte Sage berichten, die ich aus dem Munde eines eben nicht jungen Mannes vernahm; denn Kritias war damals, wie er sagte, fast an die Neunzig heran, und ich stand etwa im zehnten Jahre; es war aber gerade der Einzeichnungstag des Täuschungsfestes. Die für uns Knaben herkömmliche Festfeier fand auch diesmal statt; unsere Väter setzten uns nämlich Preise beim Vortragen von Gesängen aus. Da wurden nun viele Gedichte vieler Dichter hergesagt, und als etwas zu jener Zeit Neues sangen viele von uns Knaben auch die Gedichte Solons ab. Da sagte denn einer der Gemeindenachbarn, ob nun damals das seine Ansicht war oder ob er dem Kritias etwas Angenehmes sagen wollte: seinem Bedünken nach sei Solon nicht bloß im Übrigen der größte Weise, sondern auch unter allen Dichtern der großsinnigste gewesen. Den alten Mann, recht gut erinnere ich mich dessen, freute das höchlich, und lächelnd erwiderte er: Wenn er nur, Freund Amynandros, das Dichten nicht als Nebensache, sondern wie andere mit vollem Ernst betrieben und die Sage, die er aus Ägypten mit hierherbrachte, ausgeführt hätte, nicht aber durch Aufstände und anderes Ungehörige, was er bei seiner Rückkehr hier vorfand, das liegenzulassen genötigt worden wäre; dann hätte wohl, meiner Meinung nach, weder Hesiodos, noch Homeros noch sonst ein Dichter einen höheren Dichterruhm erlangt als er.

Was war denn das für eine Sage, Kritias? fragte er.

Gewiß die größte und mit dem vollsten Rechte wohl vor allem gepriesenste Heldentat betreffend, die zwar unsere Stadt vollbrachte, von der jedoch die Kunde, wegen der Länge der Zeit und des Untergangs derer, die sie vollführten, nicht bis zu uns gelangte.

Erzähle, bat ihn der andere, von Anbeginn an, was und wie und von wem hatte das als eine wahre Begebenheit Solon vernommen, was er erzählte.

Es ist in Ägypten, entgegnete er, im Delta, an dessen Spitze der Nil sich spaltet, ein Gau, der der Saitische heißt und dessen größte Stadt Sais ist, aus welcher auch der König Amasis stammte. Diese Stadt hat eine Schutzgöttin, in ägyptischer Sprache Neith, in hellenischer, wie jene sagen, Athene geheißen. Die Bewohner aber sagen, sie seien große Athenerfreunde und mit den hiesigen Bürgern gewissermaßen verwandt. Dorthin, erzählte Salon, sei er gereist, habe da eine sehr ehrenvolle Aufnahme gefunden und, als er die der Sache am meisten kundigen Priester über die alten Zeiten befragt, erkannt, daß so ziemlich weder er noch sonst einer der Hellenen von dergleichen Dingen das geringste wisse. Einmal habe er aber, um sie zu Erzählungen von den alten Zeiten zu veranlassen, von den ältesten Geschichten des hiesigen Landes zu berichten begonnen, vom Phoroneus, den man den Ersten nennt und von der Niobe, ferner nach der Wasserflut die Sage von Deukalion und Pyrrha, wie sie glücklich durchkamen. Er habe ihre Nachkommenschaft aufgezählt und, indem er der bei dem Erzählten verstrichenen Jahre gedachte, die Zeitangaben festzustellen versucht. Da habe ein hochbejahrter Priester gesagt: ach, Solon, Solon! Ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder, zum Greise aber bringt es kein Hellene. - Wieso? Wie meinst du das? habe er, als er das hörte, gefragt. - Jung in den Seelen, habe jener erwidert, seid ihr alle: denn ihr hegt in ihnen keine alte, auf altertümliche Erzählungen gegründete Meinung noch ein durch die Zeit ergrautes Wissen. Davon liegt aber darin der Grund. Viele und mannigfache Vernichtungen der Menschen haben stattgefunden und werden stattfinden, die bedeutendsten durch Feuer und Wasser, andere, geringere, durch tausend andere Zufälle. Das wenigstens, was auch bei euch erzählt wird, daß einst Phaethon, der Sohn des Helios, der seines Vaters Wagen bestieg, die Oberfläche der Erde, weil er die Bahn des Vaters einzuhalten unvermögend war, durch Feuer zerstörte, selbst aber, vom Blitze getroffen, seinen Tod fand, das wird wie ein Märchen berichtet; das Wahre daran beruht aber auf der Abweichung der am Himmel um die Erde kreisenden Sterne und der nach langen Zeiträumen stattfindenden Vernichtung des auf der Erde Befindlichen durch mächtiges Feuer. Dann pflegen demnach diejenigen, welche Berge und hoch und trocken gelegene Gegenden bewohnen, eher als die an Flüssen und dem Meere Wohnenden unterzugehen, uns aber rettet der auch sonst uns Heil bringende Nil durch sein Übertreten aus solcher Not. Wenn dagegen die Götter die Erde, um sie zu läutern, mit Wasser überschwemmen, dann kommen die Rinder- und Schafhirten auf den Bergen davon, die bei euch in den Städten Wohnenden dagegen werden von den Strömen in das Meer fortgerissen. Hierzulande aber ergießt sich weder dann noch bei andern Gelegenheiten Wasser von oben her über die Fluren, sondern alles pflegt von Natur von unten herauf sich zu erheben. Daher und aus diesen Gründen habe sich, sagt man, das hier Aufbewahrte als das älteste erhalten; das Wahre aber ist allerorten, wo es nicht eine übermäßige Kälte oder Hitze verbietet, lebt eine bald größere, bald kleinere Zahl von Menschen; was sich aber, sei es bei euch oder hier oder in andern Gegenden, von denen uns Kunde ward, Schönes und Großes oder in einer andern Beziehung Merkwürdiges begab, das alles ist von alten Zeiten her hier in den Tempeln aufgezeichnet und aufbewahrt. Bei euch und andern Völkern dagegen war man jedesmal eben erst mit der Schrift und allem andern, dessen die Staaten bedürfen, versehen, und dann brach, nach Ablauf der gewöhnlichen Frist, wie eine Krankheit eine Flut vom Himmel über sie herein und ließ von euch nur die der Schrift Unkundigen und Ungebildeten zurück, so daß ihr vom Anbeginn wiederum gewissermaßen zum Jugendalter zurückkehrt, ohne von dem etwas zu wissen, was so hier wie bei euch zu alten Zeiten sich begab. Was du daher eben von den alten Geschlechtern unter euch erzähltest, o Solon, unterscheidet sich nur wenig von Kindergeschichten, da ihr zuerst nur einer Überschwemmung, deren vorher doch viele stattfanden, euch erinnert. So wißt ihr ferner auch nicht, daß das unter Menschen schönste und trefflichste Geschlecht in euerm Lande entsproß, dem du entstammst und euer gesamter jetzt bestehender Staat, indem einst ein winziger Same davon übrigblieb. Das blieb vielmehr euch verborgen, weil die am Leben Erhaltenen viele Menschengeschlechter hindurch der Sprache der Schrift ermangelten. Denn einst, o Solon, vor der größten Verheerung durch Überschwemmung, war der Staat, der jetzt der athenische heißt, der tapferste im Kriege und vor allen durch eine gute gesetzliche Verfassung ausgezeichnet; er soll unter allen unter der Sonne, von denen die Kunde zu uns gelangte, die schönsten Taten vollbracht, die schönsten Staatseinrichtungen getroffen haben. Mit Verwunderung habe Solon, erzählte er selbst, das vernommen und inständigst die Priester gebeten, ihm der Reihe nach genau alles seine Mitbürger aus alter Zeit Betreffende zu berichten. Diesen Bericht, habe der Priester gesagt, will ich dir nicht mißgönnen, Solon, sondern um deiner selbst und deiner Vaterstadt willen dir ihn mitteilen, vorzüglich aber der Göttin zuliebe, welcher euer Land und dieses hier zum Lose fiel und die beide gedeihen ließ und heranbildete, das eure um tausend Jahre früher, indem sie den Samen eures Volkes vom Hephaistos und der Erde überkam, das hiesige später. Die Zahl der Jahre aber seit der hier bestehenden Einrichtung unseres Staates ist in der geweihten Schrift auf achttausend Jahre angegeben. Von deinen vor neuntausend Jahren lebenden Mitbürgern nun will ich dir ganz kurz die Gesetze und die schönste Heldentat, die von ihnen vollbracht ward, berichten; das Genauere über alles aber wollen wir später der Reihe nach, indem wir die Schriften selber zur Hand nehmen, erörtern. Auf ihre Gesetze mache einen Schluß von den hier geltenden; denn viele den damals bei euch bestehenden ähnliche wirst du jetzt hier vorfinden, zuerst den von den übrigen getrennten Stand der Priester, dann den der Werkmeister, deren jeder, von dem andern getrennt, sein eigenes Geschäft betreibt, sowie den der Hirten und Jäger und Landwirte; auch den Stand der Krieger, dem vom Gesetze der Auftrag ward, um weiter nichts als um den Krieg sich zu kümmern, siehst du doch wohl hier von jedem anderen geschieden. Ferner ist auch die Art der Rüstung mit Schild und Speer dieselbe, deren wir unter den Bewohnern Asiens zuerst uns bedienten, indem die Göttin sie uns, wie euch in dortiger Gegend zuerst, lehrte. Was aber die Verstandesbildung anbetrifft, siehst du wohl, welche Sorgfalt die hiesige Gesetzgebung sogleich von Anbeginn an ihr widmete in bezug sowohl auf die Weltordnung, indem sie alles insgesamt, bis auf die Seher- und Heilkunst zur Gesundheit, aus diesen göttlichen Dingen für die menschlichen Angelegenheiten herleitete und auch in den Besitz aller andern damit verbundenen Kenntnisse sich setzte. Insofern also die Göttin euch zuerst diese gesamte Anordnung und Ausbildung verlieh, wies sie euch auch euern Wohnsitz an und wählte die Stätte, der ihr entsprossen seid, dazu aus, weil sie in der Jahreszeiten günstigem Wechsel erkannte, daß sie die verständigsten Bewohner erzeugen werde. Als dem Kriege und der Weisheit hold, wählte die Göttin diejenige Stätte aus, die bestimmt war, die ihr zunächst kommenden Menschen zu erzeugen, und gründete da zuerst einen Staat. In diesem lebtet ihr also unter solchen Gesetzen und einer noch vollkommeneren Verfassung, in jeder Tugend vor alten Menschen ausgezeichnet, wie es sich von euch, als Abkömmlingen und Zöglingen der Götter, erwarten ließ. Demnach erregen viele und große von euch hier aufgezeichnete Heldentaten eurer Vaterstadt Bewunderung, vor allem aber zeichnet sich eine durch ihre Bedeutsamkeit und den dabei bewiesenen Heldenmut aus; denn das Aufgezeichnete berichtet, eine wie große Heeresmacht dereinst euer Staat überwältigte, welche von dem Atlantischen Meere her übermütig gegen ganz Europa und Asien heranzog. Damals war nämlich dieses Meer schiffbar; denn vor dem Eingange, der, wie ihr sagt, die Säulen des Herakles heißt, befand sich eine Insel, größer als Asien und Libyen zusammengenommen, von welcher den damals Reisenden der Zugang zu den übrigen Inseln, von diesen aber zu dem ganzen gegenüberliegenden, an jenem wahren Meere gelegenen Festland offenstand. Denn das innerhalb jenes Einganges, von dem wir sprechen, Befindliche erscheint als ein Hafen mit einer engen Einfahrt; jenes aber wäre wohl wirklich ein Meer, das es umgebende Land aber mit dem vollsten Rechte ein Festland zu nennen. Auf dieser Insel Atlantis vereinte sich auch eine große, wundervolle Macht von Königen, welcher die ganze Insel gehorchte sowie viele andere Inseln und Teile des Festlandes; außerdem herrschten sie auch innerhalb, hier in Libyen bis Ägypten, in Europa aber bis Tyrrhenien. Diese in eins verbundene Gesamtmacht unternahm es nun einmal, euer und unser Land und das gesamte diesseits des Eingangs gelegene durch einen Heereszug zu unterjochen. Da nun, o Solon, wurde das Kriegsheer eurer Vaterstadt durch Tapferkeit und Mannhaftigkeit vor allen Menschen offenbar. Denn indem sie durch Mut und die im Kriege anwendbaren Kunstgriffe alle übertraf, geriet sie, teils an der Spitze der Hellenen, teils, nach dem Abfalle der übrigen, notgedrungen auf sich allein angewiesen, in die äußersten Gefahren, siegte aber und errichtete Siegeszeichen über die Heranziehenden, hinderte sie, die noch nicht Unterjochten zu unterjochen, uns übrigen insgesamt aber, die wir innerhalb der Heraklessäulen wohnen, gewährte sie großzügig die Befreiung. Indem aber in späterer Zeit gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen eintraten, versank, indem nur ein schlimmer Tag und eine schlimme Nacht hereinbrach, eure Heeresmacht insgesamt und mit einem Male unter die Erde, und in gleicher Weise wurde auch die Insel Atlantis durch Versinken in das Meer den Augen entzogen. Dadurch ist auch das dortige Meer unbefahrbar und undurchforschbar geworden, weil der in geringer Tiefe befindliche Schlamm, den die untergehende Insel zurückließ, hinderlich wurde.

Was der alte Kritias dem, was Solon gehört hatte, zufolge sagt, hast du, Sokrates, in aller Kürze vernommen. Als du aber gestern vom Staate und von dessen Bürgern, wie du sie darstelltest, sprachst, bewunderte ich es, an das, was ich eben erzählte, mich erinnernd, wie du zufällig, als ob ein Dämon aus dir spräche, meistens nicht ungenau mit dem, was Solon sagte, zusammenstimmtest. Doch wollte ich nicht sogleich das Wort ergreifen, denn wegen der Länge der Zeit war jenes mir nicht zur Genüge erinnerlich; so erkannte ich also, ich werde, bevor ich rede, mir selbst alles hinreichend in das Gedächtnis zurückrufen müssen. Daher sagte ich dir sogleich bereitwillig zu, was du gestern begehrtest, in der Meinung, wir würden, was bei solchen Aufgaben das Schwierigste ist, so ziemlich imstande sein, unserer Unterhaltung eine deinen Wünschen entsprechende Untersuchung zugrunde zu legen. Darum berichtete ich sogleich gestern, wie unser Freund da erzählte, diesen meine Erinnerungen; nach meiner Heimkehr aber wiederholte ich mir, so ziemlich alles durchdenkend, in der Nacht das Ganze, da gewiß, wie man zu sagen pflegt, das vom Knaben Erlernte in bewundernswürdiger Weise im Gedächtnis haftet. Denn ich weiß nicht, ob ich wohl imstande sein würde, alles, was ich gestern hörte, im Gedächtnis wieder aufzuspüren; dagegen sollte es mich sehr wundern, wenn mir etwas von dem, was ich vor sehr langer Zeit genau hörte, entfallen wäre. Damals also vernahm ich es unter großer Lust und Kurzweil, indem der Greis auf meine oft wiederholten Fragen bereitwillig mich beschied, so es wie eingebrannte Schrift unauslöschbar in mir haftet. Auch diesen Freunden erzählte ich gleich am Morgen dasselbe, damit es ihnen so wenig wie mir an Redestoff gebreche. Jetzt also, Sokrates, siehst du mich bereit und deshalb führte ich alles eben Gesagte an, es nicht bloß im allgemeinen, sondern jedes einzeln, wie ich es vernahm, zu berichten. Wir wollen aber die Bürger und den Staat, den du gestern als ein Erdichtetes uns darstelltest, jetzt auf das wirklich Geschehene hier übertragen und annehmen, jener sei derselbe mit diesem, und behaupten, die Bürger, wie du sie dir dachtest, seien unsere wahrhaften Voreltern, von denen der Priester erzählte. Sie werden durchaus mit diesen im Einklang stehen und wir keinen Mißgriff tun, wenn wir sagen, daß sie die zu jener Zeit Lebenden sind. Indem wir aber alle gemeinschaftlich die Sache vornehmen, wollen wir nach Kräften versuchen, die uns von dir gestellte Aufgabe auf eine angemessene Weise zu lösen. Darum hast du, Sokrates, jetzt zu erwägen, ob diese Erzählung nach deinem Sinne ist oder ob wir an ihrer Stelle noch eine andere suchen müssen.

SOKRATES: Welche könnten wir wohl lieber vornehmen als diese, o Kritias, da sie ja wohl dem gegenwärtigen Opferfeste der Göttin ihrer Zugehörigkeit wegen am angemessensten ist; auch, daß es nicht eine erdichtete Sage, sondern eine wahrhafte Erzählung ist, ist etwas sehr Großes. Denn wie und woher sollten wir, wollten wir diese nicht berücksichtigen, andere auffinden? Das ist nicht möglich; sondern euch kommt es zu, getrost das Wort zu nehmen, mir aber, zum Entgelt meines gestrigen Berichtes, jetzt ruhig zuzuhören.

KRITIAS: Erwäge aber, Sokrates, die von uns festgestellte Aufeinanderfolge der dir bestimmten Gastgeschenke. Es schien uns nämlich angemessen, daß Timaios, als der Sternkundigste unter uns und derjenige, der es zur Hauptaufgabe seines Lebens machte, zur Kenntnis der Natur des Weltalls zu gelangen, zuerst rede und damit beginne, über die Entstehung der Welt zu sprechen, mit der Erzeugung des Menschen aber schließe. Nach ihm aber ich, nachdem ich von ihm die Menschen, seinen Vortrage zufolge, ins Dasein gerufen, von dir aber einige als in hohem Grade ausgebildet überkam, sie, der Erzählung und Gesetzgebung Solons gemäß, als Richter uns vorführe und, als seien es die Athener jener Zeit, zu Bürgern unseres Staates mache, von denen die in den heiligen Schriften niedergelegte Sage verkündet, sie seien von der Erde verschwunden, und von ihnen hinfort als unseren Bürgern und Athenern spreche.

SOKRATES: So soll mir, scheint es, in vollkommener und glänzender Weise mein Redeschmaus vergolten werden! Demnach dürfte es also nun wohl, wie es scheint, an dir, o Timaios, sein, das Wort zu nehmen, nachdem du, der Sitte gemäß, der Götter Beistand dir erflehtest.

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Übersetzung von Hieronymus Müller