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Marco Polo in Südarabien

Aus Marco Polos Reisebericht geht nicht hervor, ob er die von ihm beschriebenen Reiche, ihre Städte, Herrscher und Menschen alle jemals selbst gesehen hat oder ob seine Erzählungen nur auf den Berichten anderer beruhen. In den Kapiteln 40-44 des 3. Buchs beschreibt Marco Polo die Länder Südarabiens, vorrangig den Jemen und den heutigen Oman, den es damals als eigenständiges Staatsgebilde noch nicht gegeben hat. Da sein Wissen vornehmlich auf Informationen über Handelswege und -waren gründet, ist anzunehmen, daß er selbiges von arabischen Kaufleuten erworben hat, denn was räumliche Entfernungen und die korrekte Wiedergabe geographischer Beschreibungen betrifft, ist sein Bericht nicht nur gelegentlich ungenau, sondern läßt einiges zu wünschen übrig. Der nicht kommentierte Name Dulfar im 42. Kap. erinnert an den Dhofar im Süden des heutigen Oman. Es dürfte sich dabei um die Stadt Salalah handeln, den späteren Sultanssitz, mit ihrem Handelshafen al-Baleed. Daß Marco Polo den Weihrauchbaum als "tannenähnlich" bezeichnet, läßt ebenfalls darauf schließen, daß er einen solchen niemals selbst gesehen hat und den von ihm beschriebenen Landstrich, außer vom Hörensagen, gar nicht kannte. Er erweist sich auch nicht gerade als großer Kenner des Arabischen. Völlig irrig ist etwa die Annahme, der Titel Malik sei dem eines Markgrafen vergleichbar, wo doch der Malik einem König gleichzusetzen ist.

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Die Provinz Aden wird von einem König beherrscht, der den Titel Sultan führt. Die Bevölkerung ist mohammedanischen Glaubens und verabscheut die Christen auf das äußerste. Das Land hat viele Städte und Burgen und vor allem einen vorzüglichen Hafen, der von den Schiffen angelaufen wird, die mit Gewürzen und Spezereien aus Indien kommen. Die Kaufleute, welche die Waren nach Alexandrien bringen wollen, laden diese auf kleinere Schiffe um, mit denen sie dann zwanzig Tage etwa durch einen Meerbusen fahren, bis sie den nächsten Hafen erreicht haben. Dort verladen sie ihre Ware auf Kamele, welche sie in dreißig Tagereisen bis zum Nil bringen, wo sie wieder auf kleine Schiffe verladen, auf dem Flußweg nach Kairo und von dort durch einen künstlichen Kanal nach Alexandria gebracht werden. Das ist der kürzeste und einfachste Weg, den es für die indischen Produkte, die nach Alexandria gebracht werden sollen, gibt. In Aden werden auch die Pferde eingeschifft, die für alle indischen Länder bestimmt sind, ein Geschäft, an dem die Kaufleute sehr viel verdienen. Der Sultan von Aden ist unvorstellbar reich, er bezieht seine Einnahmen aus dem Zoll, mit dem er die aus Indien kommenden und nach Indien gehenden Waren belegt, und seine Hafenstadt ist der bedeutendste Umschlagplatz für Güter aller Art in diesem Teil der Welt. - Der Sultan von Aden stellte dem Sultan von Babylon, als dieser im Jahre 1 200 die Stadt Acre angriff und eroberte, 30 000 Pferde und 40 000 Kamele, und zwar aus Haß gegen die Christen.

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Die Stadt Escier wird von einem mohammedanischen Fürsten, der dem Sultan von Aden tributpflichtig ist, mit musterhafter Gerechtigkeit regiert. Die Stadt liegt etwa vierzig Meilen südöstlich von Aden; viele Städte und Burgen stehen unter ihrer Herrschaft. Sie hat einen ausgezeichneten Hafen und wird von vielen Schiffen angelaufen, welche Pferde nach Indien transportieren, die in diesem Land sehr geschätzt sind und zu hohen Preisen gehandelt werden.

In diesem Gebiet werden große Mengen Weihrauch gewonnen, der Tropfen für Tropfen aus einem tannenähnlichen kleinen Baum quillt und besonders gut ist. Dieser Baum wird in bestimmten Abständen angezapft, und aus seiner Wunde träufelt dann der Weihrauch, der später hart wird. Selbst wenn kein Einschnitt gemacht wird, schwitzt infolge der gewaltigen Hitze, die hier herrscht, das Harz heraus. Es gibt auch viele Palmen, die gute Datteln im Überfluß liefern. Dagegen wächst außer Reis und Hirse kein Getreide, ebensowenig wie Trauben, aber die Einwohner brauen ein sehr starkes und schmackhaftes Getränk aus Reis, Zucker und Datteln.

Es gibt vorzügliche Fischer in dem Land, die Thunfische in so großen Mengen fangen, daß man zwei für einen venezianischen Groschen bekommt. Die Fische werden an der Sonne getrocknet, und das Vieh - Kühe, Schafe, Kamele und Pferde - wird daran gewöhnt, sich von getrockneten Fischen zu ernähren, da die Hitze das Land so verbrannt hat, daß man nirgends eine grüne Pflanze sieht. Die als Viehfutter verwendeten Fische sind kleiner als die Thunfische und werden vor allem in den Monaten März, April und Mai gefangen.

Weil kein Getreide in dem Land wächst, bereiten die Eingeborenen auch eine Art Zwieback aus den größeren Fischen. Sie hacken diese in sehr kleine Stücke und bereiten aus Mehl eine zähflüssige Masse, die sie über die kleinen Stückchen streichen, wodurch eine Art Teig entsteht. Diesen formen sie zu Broten, die an der sengenden Sonne getrocknet werden, und essen das ganze Jahr davon. - Der bereits erwähnte Weihrauch ist in Escier so billig, daß er von dem Statthalter zentnerweise für zehn Byzantinen aufgekauft und für vierzig Byzantinen weiterverkauft wird. Das geschieht auf Befehl des Sultans von Aden, der an diesem Handel sehr viel Geld verdient.

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Dulfar ist eine große und edle Stadt zwanzig Meilen südöstlich von Escier. Ihre Einwohner sind Mohammedaner, und ihr Oberhaupt ist gleichfalls dem Sultan von Aden untertan. Die Stadt liegt in der Nähe des Meeres und hat einen guten, vielbesuchten Hafen, in dem eine Menge arabischer Pferde verladen und nach Indien ausgeführt werden. Auch Weihrauch wird hier gewonnen und weiterverkauft.

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Kalajati ist eine große Stadt, die ungefähr fünfzig Meilen südöstlich von Dulfar an einem Meerbusen liegt, der Kalatu genannt wird. Ihre Bewohner sind Mohammedaner und dem Malik von Hormuz untertan, der seine Zuflucht zu dieser uneinnehmbaren Stadt nimmt, wenn er von einem Feind angegriffen wird. Das umliegende Land liefert keine Art von Getreide, so daß dieses aus anderen Gebieten eingeführt werden muß. Der Hafen der Stadt ist gut, und es kommen viele Handelsschiffe hierher, um ihre Waren und Spezereien zu verkaufen und dafür Pferde nach Indien mitzunehmen.

Die Festung ist so am Eingang des Meerbusens von Kalatu gelegen, daß kein Schiff ohne Erlaubnis ein- oder auslaufen kann. Zuweilen geschieht es, daß der Malik von Hormuz, der in gewissem Grade vom König von Kerman abhängig und ihm tributpflichtig ist, sich gegen diesen empört, weil dieser ihm eine unzumutbare Abgabe auferlegt hat. Wenn nun ein Heer entsandt wird, um den Malik zu zwingen, verläßt dieser Hormuz und flieht nach Kalajati, wo es in seiner Gewalt liegt, jedem Schiff die Passage zu verwehren. Auf diese Weise kann er den Handel blockieren und dem König von Kerman großen Schaden an den ihm zukommenden Zöllen zufügen, bis dieser sich gezwungen sieht, den Streit mit dem Malik beizulegen. Die Festung ist aber auch der Schlüssel zum Meer selbst, da man alle vorübersegelnden Schiffe von hier aus unter Kontrolle hat.

Die Bewohner des Landes leben im allgemeinen von Datteln und Fischen. Vornehme und reiche Leute aber beziehen auch Getreide aus anderen Gebieten.

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Wenn man Kalajati verläßt und dreihundert Meilen in nordöstlicher Richtung segelt, kommt man zu der Insel Hormuz. Auf ihr steht, nahe am Meer, eine schöne und große Stadt, über die ein Malik herrscht; dieser Titel entspricht etwa dem unseres Markgrafen. Die Einwohner der Insel sind Sarazenen, die sich alle zum mohammedanischen Glauben bekennen. Die Hitze, die hier herrscht, ist außergewöhnlich groß, es befinden sich aber in jedem Hause Ventilatoren, durch die man nach Belieben frische Luft in die Räume einschleusen kann.

Wir wollen uns nun nicht weiter bei dieser Stadt aufhalten, über die ich früher - ebenso wie über Kisi und Kerman - schon berichtet habe. Bevor ich das Werk jedoch zum Abschluß bringe, will ich noch einmal zurückgreifen und einige Anmerkungen über gewisse Gegenden im Norden machen, über die ich in den vorhergehenden Büchern noch nicht berichtet habe.

Quelle: Von Venedig nach China. Die größte Reise des 13. Jahrhunderts, Edition Erdmann