[Home][Startseite][Impressum][Kontakt][Gästbuch]

Die Chronik von Akakor

Der Indianerhäuptling Tatunca Nara    Das ist die Kunde. Das ist die Geschichte der auserwählten Diener. Am Anfang war alles Chaos. Die Menschen lebten wie Tiere, unvernünftig und ohne Wissen, ohne Gesetze und ohne die Erde zu bearbeiten, ohne sich zu kleiden oder auch nur ihre Nacktheit zu bedecken. Das Geheimnis der Natur war ihnen fremd. Sie lebten zu zweit, zu dritt, wie sie der Zufall in Höhlen oder Felsspalten zusammengeführt hatte. Auf allen Vieren gingen sie umher. Bis die Götter kamen. Sie brachten ihnen das Licht.
    Wer lernt begreifen die Handlungen der Götter. Wer lernt verstehen ihre Taten. Denn wahrlich mächtig waren sie, unbegreiflich für den gewöhnlichen Sterblichen. Sie wußten um den Lauf der Gestirne und um die Gesetze der Natur. Wahrhaftig, das oberste Weltgesetz war ihnen bekannt. Hundertunddreißig Familien der Altväter kamen auf die Erde und brachten das Licht.
    Das war der Anfang von Licht, Leben, Stamm. Die Götter riefen die Menschen zusammen. Sie überlegten, bedachten und hielten Rat. Dann hatten sie sich entschieden. Und aus allen Menschen wählten sie ihre Diener aus. Diener, die mit ihnen lebten. Diener, denen sie ihr Vermächtnis lehrten.
    Das Geschlecht der Auserwählten Diener erlosch nicht. Jene, die Ugha Mongulala genannt werden, blieben bestehen. Wohl starben viele ihrer Söhne in gewaltigen Kriegen. Schreckliche Katastrophen suchten ihr Reich heim. Doch die Stärke der Auserwählten Diener blieb bestehen. Sie waren die Herren. Sie sind die Nachkommen der Götter.
    Groß war das Wissen der Früheren Herren. Groß war ihre Weisheit. Ihr Auge reichte bis zu den Hügeln, den Ebenen, den Wäldern, den Meeren und den Tälern. Wunderbare Menschen waren sie. Die Zukunft kannten sie. Die Wahrheit war ihnen enthüllt. Weitsichtig waren sie und von großer Entscheidung. Sie bauten Akanis und Akakor und Akahim. Mächtig fürwahr waren ihre Werke, wie sie alles geschaffen hatten. Wie sie die vier Weltecken und die vier Seiten bestimmten. Vier Weltecken und vier Weltseiten schufen die Herren des Kosmos, die Wesen am Himmel und auf der Erde.
    Und von Akakor aus herrschten die Götter. Sie herrschten über die Menschen und über die Erde. Sie hatten Schiffe, schneller als ein Vogel fliegt. Schiffe, die ohne Segel und Ruder und bei Tag gleich wie bei Nacht an ihr Ziel gelangten. Sie hatten magische Steine, um in die Ferne zu blicken. Man sah Städte, Ströme, Hügel, Seen. Was immer auf Erden oder am Himmel geschah, es spiegelte sich darin. Aber das wunderbarste waren die unterirdischen Wohnstätten. Und die Götter übergaben sie ihren Auserwählten Dienern als ihr letztes Vermächtnis. Denn die Früheren Herren sind vom gleichen Blut und haben den gleichen Vater.
    Am Tag, als die Götter die Erde verließen, riefen sie Ina herbei. Sie waren nicht krank. Sie seufzten nicht unter Schmerzen, als sie ihrem vertrautesten Diener ihr Vermächtnis hinterließen: »Ina, wir brechen zur Heimkehr auf. Guten Rat und weise Grundsätze haben wir dich gelehrt. Zu den Unsrigen kehren wir zurück. Heimkehren werden wir. Unser Werk ist getan. Unsere Tage haben sich erfüllt. Halte uns im Gedächtnis und vergiß uns nicht. Denn wir sind Brüder vom gleichen Blut und haben den gleichen Vater. Wir kehren zurück, wenn ihr bedroht seid. Jetzt aber nimm die Auserwählten Stämme. Führe sie in die unterirdischen Wohnstätten, damit sie geschützt sind vor der kommenden Katastrophe.» Das waren ihre Worte. So sprachen sie zum Abschied. Und Ina sah, wie sie mit ihren Schiffen unter Feuer und Donner zum Himmel fuhren. Über den Bergen von Akakor entschwanden sie. Nur Ina sah ihren Weggang. Aber ihr Wissen und ihre Weisheit ließen die Götter zurück. Sie wurden heilig gehalten. Ein Zeichen der Altväter waren sie. Und Ina berief eine Versammlung der Ältesten des Volkes ein. Von den letzten Weisungen der Götter berichtete er. Und er befahl, eine neue Zeitrechnung zu beginnen, im Andenken an die Früheren Herren. Das ist die geschriebene Geschichte der Auserwählten Diener, die Chronik von Akakor.
    Seltsame Vorzeichen standen am Himmel. Zwielicht lag auf der Erde Antlitz. Noch gab es die Sonne. Aber graue Schleier waren da, groß und mächtig, die den Tag zu Verdecken begannen. Wahrlich. Seltsame Zeichen standen am Himmel. Die Sterne glänzten wie trübe Steine. Gifthauch zog in Nebeln über die Hügel. Übelriechendes Feuer hing in den Bäumen. Eine rote Sonne, ein schwarzer Weg kreuzten sich. Schwarz, rot, alle vier Weltecken waren rot.
    Angst und Schrecken erfüllte die Auserwählten Diener. Sie sahen die Sonne nicht mehr, nicht den Mond und nicht die Sterne. Wirrnis und Dunkelheit brachen herein. Seltsame Gebilde zogen über ihren Häuptern dahin. Flüssiges Harz troff vom Himmel, und im Dämmerlicht suchten die Menschen nach Nahrung. Den eigenen Bruder töteten sie. Das Vermächtnis der Götter vergaßen sie. Die Blutzeit begann.
    Die Ältesten des Volkes traten zusammen. Dem Befehl Inas folgten sie. Wie können wir uns schützen? Wahrlich, die Zeichen sind drohend. So sprachen sie. Lasset uns den Göttern Folge leisten und in die unterirdischen Schutzräume ziehen. Sind wir nicht genug für ein ganzes Volk? Nicht einer, nicht zwei dürfen fehlen. So sprachen sie. So beschlossen sie. Und es kamen alle zusammen. Sie kreuzten die Wasser. Sie gingen abwärts die Schlucht und überschritten sie. An ihr Ende gelangten sie. Dorthin, wo sich die vier Wege treffen. Da waren sie gerettet, an dieser Kreuzung der vier Wege. In den Wohnstätten der Früheren Herren. Geschützt im Innern der Berge.
    Das ist die Kunde vom Untergang der Menschen. Was geschah auf der Erde? Wer ließ sie erzittern? Wer ließ die Sterne tanzen? Wer ließ die Wasser hervorquellen aus den Felsen? Zahlreich waren die Züchtigungen, die die Menschen ereilten. Vielerlei
    Prüfungen waren sie unterworfen. Es war schrecklich kalt, und ein eisiger Wind fegte über die Erde. Es war schrecklich heiß, und die Menschen verbrannten an ihrem Atem. Menschen und Tiere flohen in panischer Angst. Verzweifelt rannten sie hierhin und dorthin. Sie trachteten, auf die Bäume zu steigen, und die Bäume schleuderten sie weit weg. Sie trachteten, in die Höhlen zu gelangen, und die Höhlen stürzten über ihnen ein. Was unten war, wurde nach oben gekehrt. Was oben war, versank in den Tiefen. Kein Ende nahm das Tosen und Wüten der Götter. Selbst die unterirdischen Schutzräume begannen zu schwanken.
    Drei Monde vergingen, dreimal drei Monde. Dann teilten sich die Wasser. Die Erde beruhigte sich wieder. Die Bäche verliefen in anderen Bahnen. Sie verliefen zwischen den Hügeln. Hohe Berge ragten der Sonne entgegen. Die Erde war verwandelt, als die Auserwählten Diener die unterirdischen Wohnstätten verließen. Und groß war ihre Trauer. Ihr Antlitz hoben sie zum Himmel. Ihre Augen suchten nach den Ebenen und den Hügeln, nach den Flüssen und Seen. Furchtbar war die Wahrheit. Die Zerstörung war schrecklich. Und Ina hielt Rat mit den Ältesten. Große Geschenke sammelten die Auserwählten Stämme. Schmuck, Bienenhonig und Weihrauch brachten sie zusammen. Um die Götter auf die Erde zurückzuholen, opferten sie das. Aber der Himmel blieb leer. Die Zeit des Jaguars brach an. Die Zeit der Blutjahre, in der alles zerstört wird. So zerriß das Band zwischen den Früheren Herren und ihren Dienern. So begann ein neues Leben.
    Es war eine schreckliche Zeit. Der reißende Jaguar kam und verschlang das Fleisch der Menschen. Er zermalmte die Knochen der Auserwählten Diener. Er riß ihren Kriegern den Kopf ab. Dunkelheit lag über dem Land.
    Das war der Anfang vom ruhmlosen Ende des Reiches. Die Menschen hatten keinen Verstand mehr. Auf allen vieren schlichen sie durch das Land. Sie zitterten vor Angst und Schrecken. Niedergeschlagen waren ihre Herzen. Verwirrt war ihr Geist. Tieren gleich, fielen sie sich an. Ihren Nächsten töteten sie und aßen sein Fleisch. Wahrlich, furchtbar war die Zeit.
    Die Stämme der Entarteten schlossen sich zusammen. Sie sprachen: Wie können wir unseren Früheren Herren beikommen? Wahrlich, sie sind immer noch mächtig. So sprachen sie Rat. Lasset uns einen Hinterhalt legen. Töten wollen wir sie. Sind wir nicht viele? Sind wir nicht mehr als genug, um sie zu besiegen? Und es bewaffneten sich alle Entarteten. Eine gewaltige Zahl von ihnen kam zusammen. Die Menge ihrer Kriegsleute war unübersehbar. Akakor wollten sie stürmen. Um Uma den Fürsten zu töten, marschierten sie auf. Aber die Auserwählten Diener hatten sich gerüstet. Auf der Spitze des Berges standen sie. Akai ist der Name des Berges, wo sie standen. Alle Auserwählten Stämme hatten sich um Uma geschart, als die Entarteten heranzogen. Schreiend kamen sie mit ihren Pfeilen und Bogen, Kriegslieder sangen sie. Sie brüllten und pfiffen auf den Fingern. So rannten sie gegen Akakor.
    Schrecklich ist die Kunde. Schrecklich ist die Wahrheit. Immer noch lebten die Auserwählten Diener in den Wohnstätten der Götter. Hundert Jahre. Tausend Jahre. Das heilige Vermächtnis war vergessen. Unleserlich geworden waren seine Zeichen. Den Bund mit den Göttern hatten ihre Diener verraten. Außer Rand und Band lebten sie, wie Tiere im Wald. Auf allen vieren gingen sie dahin. Jedes Verbrechen geschah am hellichten Tag. Da fühlten die Götter Kümmernis. Betrübt waren ihre Herzen über die Bosheit der Menschen. Und sie sprachen: Wir wollen die Menschen strafen. Vertilgen von der Erde wollen wir sie. Die Menschen bis zum Vieh, bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel. Denn sie haben unser Vermächtnis verworfen. Und die Götter begannen, die Menschen zu vernichten. Einen gewaltigen Stern schickten sie, dessen rote Spur den ganzen Himmel bedeckte. Und Feuer sandten sie, heller als tausend Sonnen. Das große Strafgericht brach herein. Dreizehn Monde lang regnete es. Dreizehn Monde ein unaufhörlicher Regen. Die Wasser der Meere stiegen an. Rückwärts flossen die Flüsse. Der große Strom verwandelte sich in einen gewaltigen See. Und die Menschen wurden vernichtet. In den schrecklichen Fluten ertranken sie.
    Madus wagte den Weg hinauf auf die Erde. Sturm und Wasser nicht scheuend, ging er hinaus. Mit Schrecken blickte er auf das verwüstete Land. Er sah keine Menschen mehr und keine Pflanzen. Nur verzweifelte Tiere und Vögel, die über das endlose Wasser flogen, müde werdend, bis sie sich fallen ließen und in den Fluten ertranken. Das sah Madus. Und er wurde traurig und zornig zugleich. Mit Gewalt riß er Baumstümpfe aus der überschwemmten Erde. Treibendes Holz sammelte er. Ein Floß baute Madus, um den verzweifelten Tieren zu helfen. Von allen nahm er ein Paar. Zwei Jaguare, zwei Schlangen, zwei Tapire, zwei Falken. Und die steigenden Wasser trieben sein Floß immer höher. Die Berge hinauf, bis zur Spitze des Akai, des Schicksalsberges der Auserwählten Stämme. Hier ließ Madus die Tiere an Land und die Vögel in die Luft. Und als das Wasser nach dreizehn Monden wieder abfloß und die Sonne die Wolken vertrieb, kehrte er nach Akakor zurück und berichtete vom Ende der schrecklichen Blutzeit.
    Noch lag Zwielicht auf der Erde Antlitz. Verhüllt waren Sonne und Mond. Da erschienen Schiffe am Himmel, gewaltig und von goldener Farbe. Groß war die Freude der Auserwählten Diener. Ihre Früheren Herren kehrten zurück. Schimmernden Antlitzes kamen sie zur Erde herab. Und das Auserwählte Volk holte seine Geschenke hervor: Federn vom großen Waldvogel, Bienenhonig, Weihrauch und Früchte. Das legten die Auserwählten Diener den Göttern zu Füßen und tanzten, nach Osten gewandt, der aufgehenden Sonne entgegen. Unter Freudentränen tanzten sie, zum Zeichen der Rückkehr der Früheren Herren. Und auch alle Tiere freuten sich. Alle, bis zum Geringsten, erhoben sich in den Tälern und schauten zu den Altvätern auf. Aber viele waren es nicht mehr. Die Strafe der Götter hatte die meisten getötet. Nur wenige Menschen lebten noch, um die Früheren Herren zu begrüßen mit der notwendigen Ehrfurcht.
    Den Trägern stand der Schweiß auf der Stirn. Rot färbten sich die Berge von ihrem Blut. Blutberge wurden sie deshalb genannt. Aber Lhasa ließ keinen Einhalt gebieten. Das Volk der Auserwählten Diener büßte für den Verrat seiner Vorväter. Und so vergingen die Tage. Die Sonne erhob sich und ging nieder. Es kamen Regen und Kälte. Dumpf klang die Klage der Auserwählten Diener. Mit Schmerzen besangen sie ihr Leid.
    Zahlreich waren die Krieger unter Lhasa geworden. Stark fühlten sie sich. Sie kümmerten sich nicht um das Land und nicht um die Frauen. Sie hatten nur Augen für ihre Waffen. Beschützt von dem Auge der Götter, prüften sie die Stellungen der Feinde. Im Auftrag Lhasas zogen sie aus. Denn der Erhabene Göttersohn war wirklich ein großer Fürst. Man konnte ihn weder besiegen noch töten. Lhasa war in Wirklichkeit ein Gott. Dreizehn Tage lang stieg er in den Himmel hinauf. Dreizehn Tage lang wanderte er der aufgehenden Sonne entgegen. Dreizehn Tage lang nahm er Vogelgestalt an und war wirklich ein Vogel. Für dreizehn Tage verwandelte er sich in einen Adler. Wirklich erhaben war er. Alle Menschen erbleichten vor seinem Angesicht. Bis zu den Grenzen des Himmels, bis zu den Grenzen der Erde reichte seine Macht. Und die Stämme beugten sich dem göttlichen Meister.
    Oft war Lhasa mit seiner Flugscheibe fort. Seinen Bruder Samon besuchte er. In das gewaltige Reich im Osten flog er. Und er nahm ein seltsames Gefährt mit, das über Wasser und Berge gehen kann.
    So hat es Lhasa vorhergesagt. Und so wird es geschehen. Neue Blutsbande werden entstehen zwischen dem Reiche Lhasas und dem Reiche Samons. Erneuern wird sich der Bund zwischen ihren Geschlechtern, wiederfinden werden sich ihre Nachkommen. Dann kehren die Früheren Herren zurück.
    Das ist unser höchstes Gebot. Unser Vermächtnis sollt ihr bewahren. Heilig halten sollt ihr es, wohin ihr auch geht, wo ihr auch eure Hütten baut, wo ihr eine neue Heimat findet. Tut nicht euren Willen, sondern den Willen der Götter. Ehrfürchtig, dankbar vernehmt ihre Worte. Denn groß sind sie, unermeßlich in ihrer Weisheit.
    Lhasa hinterließ Macht und Ansehen. Es wurde beschlossen und regiert. söhne wurden geboren. Viele Dinge geschahen. Und es wuchs der Ruhm des Auserwählten Volkes, als es Akakor mit Kalk und Mörtel wiederaufbaute. Aber die Auserwählten Diener legten nicht selbst Hand an. sie leisteten keine Arbeit. sie bauten weder Festungen noch Weihestätten. Das überließen sie den unterworfenen Stämmen, sie brauchten nicht zu bitten, nicht zu befehlen, nicht Gewalt anzuwenden. Jeder gehorchte freudig den neuen Herren. Und das Reich dehnte sich aus. Die Macht der Auserwählten Diener war groß. In allen vier Ecken des Reiches galten ihre Gesetze.
    Wir müssen unsere Aufgaben einteilen. So sprach und beschloß Lhasa, Und so geschah die Erneuerung der Ränge und die Auszeichnung der Stände. Der Fürst, der Hohepriester und die Ältesten des Volkes, alle Titel und Würdenträger wurden neu besetzt. Das war der Ursprung aller Ränge und Stände. Das war die neue Ordnung des Erhabenen Göttersohnes, die das Leben der Ugha Mongulala bestimmt.
    Auf dem Gipfel der Berge, hoch über den Sterblichen thronend, regierte der Fürst, Er besaß ein weites Herz. Er hatte eine zuverlässige Rede. Die Geheimnisse der Natur kannte er. Er bestimmte die Geschicke der Auserwählten Stämme, Auch die übrigen Stämme waren ihm untertan. Alle Menschen beugten sich seinem Gesetz.
    So sprach und beschloß Lhasa. Denn weise war er. Die Schwächen der Menschen kannte er. Ihren Ehrgeiz brach er mit seinen Gesetzen. Die Zukunft der Auserwählten Stämme legte er fest. Und ihr Wohlergehen.
    Jetzt werden wir vom Tun auf den Feldern berichten. Dort haben sich die Auserwählten Diener versammelt. Die Früchte der Erde bringen sie ein. Gemeinsam ernten sie den Mais und die Kartoffeln, den Bienenhonig und die Harze. Denn die Erträge gehören allen. Und der Boden ist jedens Eigentum. So hat es Lhasa eingerichtet, damit kein Streit aufkomme und kein Hunger, Und Überfluß spendete die Erde. Wachstum und Leben genossen die Menschen. Überreichliche Nahrung gab es im ganzen Land, auf den Ebenen und in den Wäldern, an den Flüssen und in der Lianenwildnis.
    Alles besteht und vergeht. Das sagten die Götter, so lehrten sie die Auserwählten Stämme. Alle Menschen sind ihren Gesetzen unterworfen, denn es herrscht ein innerer Zusammenhang zwischen dem Himmel oben und der Erde unten.
    Eine traurige Tat hast du vollbracht. Wehe dir, wenn dich doch die Götter erleuchtet hätten. Was hast du getan ? Warum hast du die Gesetze der Altväter mißachtet? Du hast dich in Schuld begeben. So sprach der Hohepriester zu Hama. Und Hama, der sein Weib verstoßen und ein junges Mädchen zur Frau genommen hatte, gestand sein Vergehen. Angst und Schrecken erfaßten sein Herz. Er weinte bittere Tränen. Aber der Hohepriester ließ sich nicht rühren. Nicht Toll, nicht Gefangenschaft ist für dich vorgesehen, Hama. Unser heiligstes Gesetz hast du gebrochen In die Verbannung wirst du geschickt. So lautete sein Urteil. Und Hama, der sein Weib verstoßen hatte, wurde jetzt selber verstoßen, jenseits der Grenzen lebte er als Entarteter. Um seine Hütte kümmerte sich niemand mehr. Durch die Berge streifte er. Baumrinde und Flechten aß er. Bittere Flechten von den Felsen. Gute Speise war ihm fremd. Und Weiber sah man niemals bei ihm.
    Jetzt nun sei vom Tempel der Sonne die Rede. Großer Tempel der Sonne wird er genannt. Zu Ehren der Götter hat er diesen Narren. Hier versammelten sich der Fürst und die Priester. Hier kam auch das einfache Volk zusammen. Das Volk verbrannte Weihrauch. Der Fürst opferte die blauen Federn des Waldvogels. Denn das waren die Zeichen für die Götter. So verehrten die Auserwählten Diener ihre Altväter, die vom gleichen Blut sind und den gleichen Vater haben.
    So opferten die Lebenden für die Toten. Im Tempel der Sonne versammelten sie sich. Vor dem Auge der Götter erschienen die Trauernden. Harz opferten sie und Zauberkraut. Und der Hohepriester sprach: Wahrlich, wir danken den Göttern. Erschallen haben sie uns. Zwei Leben gaben sie uns. Vorzüglich haben sie alles geordnet. Am Himmel und auf Erden.
    Die Auserwählten Diener regierten nicht mit leichter Hand. Die Opfergaben schenkten sie nicht weg. Das aßen und tranken sie selber. Nicht für nichts hatten sie die Herrschaft erlangt, und nicht gering war ihre Macht. Große Tribute kamen ein. Gold, Silber, Bienenhonig, Früchte und Fleisch. Das war der Tribut der unterworfenen Stämme. Vor das Angesicht des Fürsten kam all das. Vor den Herrscher von Akakor.
    Auf Befehl des Hohen Rates zogen sie aus. Zum Großen See in den Bergen zogen sie. Auch das umliegende Land besetzten sie. Kriegsspäher und Krieger waren sie, begleitet von dem Läufer mit dem Goldenen Pfeil. Ausgesandt wurden sie, um die Feinde von Akakor zu überwachen und zu besiegen. Gemeinsam zogen die Krieger der Auserwählten Stämme in den Kampf, und viele Gefangene machten sie. Denn die Verbündeten Stämme verwarfen das Vermächtnis der Götter. sie hatten sich eigene Gesetze gegeben. Nach eigenen Regeln lebten sie. Aber die Krieger der Auserwählten Diener waren mutig. Sie besiegten den Feind und schlugen ihn blutig.
    Wie soll das enden? Immer mehr Menschen machen eigene Gesetze, vergessen das Vermächtnis der Götter, leben wie Tiere. Der Auserwählten Diener sind viele, aber zahllos sind die Entarteten. Sie verwüsten unsere Felder und töten unsere Söhne. Herrschsüchtig sind sie. Nicht wenige Völker haben sie unterworfen.
    Da kamen die Priester zusammen, des Zaubers mächtige Männer. Sie wußten die Kriege voraus. Offenbart war ihnen alles, Alles wußten sie, Ob Krieg und Zerwürfnis bevorstand, sie wußten es. Gewiß, übermächtig war ihr Wissen. Und da sie den Verrat des Viracocha, des zweitgeborenen Sohns Sinkaias, vorhersahen, was ihr Fasten groß. Lange kasteiten sie sich und fasteten im Großen Tempel der Sonne von Akakor. Nur dreierlei Frucht aßen sie. Und kleine Maisfladen. Fast nichts aßen sie. Es war ein wirklich großes Fasten zur Schande des ungetreuen Viracocha. Auch gesellte sich kein Weib zu ihnen. Allein blieben sie viele Tage im Tempel, die Zukunft erforschend, Weihrauch und Blut spendend. So verbrachten sie die Tage, von der Morgendämmerung bis zur Abenddämmerung und während der Nacht. Aus heißem Herzen baten sie um Vergebung für den ungetreuen Sohn des Sinkaia.
    Zwist und Neid kamen auf. Man stritt sich um die Schwestern und um die Jagdbeute. Die gemeinsamen Feste arteten zu wilden Trinkgelagen aus. Die Auserwählten Diener kehrten sich gegeneinander und bewarfen sich mit den Gebeinen und Schädeln der Toten. Die Verbündeten Stamme verließen ihre angestimmten Orte und zogen neuen Wegen entgegen. Dort errichteten sie eigene Siedlungen. Gegen den Willen des Hohen Rates von Akakor bauten sie ihre Städte. Zahlreich waren sie, und jeder ihrer Anführer befahl sein eigenes Heer.
    Nun berichten wir von den Kriegern aus dem Osten. Von der Ankunft der Goten sei nun die Rede. Das war ihr Name. So nannten sie sich. Und hier ist ihre Geschichte. Schon waren dreihundertvierundsechzig Geschlechter vergangen, seit dem Aufbruch der Götter, seit dem Beginn von Licht, Leben und Stamm. Schon waren hundertundvier Fürsten Lhasa gefolgt. Groll erfüllte das Herz der Auserwählten Diener. Der Stamm des Viracocha war nach Cusco gezogen. Dort schlug er seine Hütten auf. Dort errichtete er die Tempel seiner Götter und predigte Haß und Krieg. Das war seine tägliche Nahrung von der Morgendämmerung bis zur Abenddämmerung und während der Nacht. Da erreichte Akakor eine seltsame Nachricht. Fremde Krieger zogen den Großen Fluß hinauf. Wehrhafte Männer. So stark wie die Wildkatze. So mutig wie der Jaguar. Auch Frauen und Kinder begleiteten sie. Auf der Suche nach ihren Göttern waren sie. So erreichten die Goten das Imperium der Auserwählten Stämme.
    Das ist der Name des Fürsten der Goten. Wilder Jäger nannten sie ihn. Er besaß viel Weisheit und viel Verstand. Er war Wahrsager, guten Sinns und Herr gewaltiger Taten. Er rettete sie vor dem Untergang. Denn geschlagen waren die tapferen Krieger, verloren schienen sie am feuerspeienden Berg. Der Untergang stand ihnen bevor. Doch der wilde Jäger bezwang das Unglück der Menschen. Einen Bund mit den kühnen Seefahrern aus dem Norden ging er ein, Auf die suche nach den Göttern begab sich sein Volk. Und in den vier Weltecken suchten die Goten. Am Blauen und am Roten Weltende. Über die Unendlichkeit der Meere fuhren sie. Und nach dreißig Monden landen sie eine neue Heimat, die Heimat der Auserwählten Diener.
    So erreichten die Goten das Imperium der Auserwählten Stämme. Und so richteten sie sich in Akakor ein. Zwei Geschlechter gab es jetzt. Aber eines Herzens waren sie. Es gab weder Streit noch Zank. Friede herrschte unter ihnen. Keine Gewalt kam vor, keine Auseinandersetzung. Friedvoll waren ihre Herzen. Weder Eifersucht noch Neid kannten sie.
    So wuchs die Größe und die Macht der Auserwählten Diener, Es wuchs das Ansehen ihrer Söhne und der Ruhm ihrer Krieger. Im Bund mit den Eisenkriegern, unverwundbar für Pfeile, besiegten sie ihre Feinde. Ein gewaltiges Reich bauten sie auf. Viele Länder beherrschten sie. Bis in die vier Weltecken reichte ihre Macht.
    So begann der Große Krieg. Die Heere der Auserwählten Diener zogen aus. Über den Stamm der Großen Stimme fielen sie her, seinen Hochmut schlugen sie nieder. Die Bogenschützen und die Schleuderer überstiegen die Bambussperren, sie überstiegen die Palisaden. Die Tore der feindlichen Siedlungen brachen sie auf. Sie töteten mehr Feinde, als man zählen kann, und reiche Beute fiel den Auserwählten Dienern in die Hände. Das ist eine Aufzählung: Knochenflöten und Muschelhörner, kostbarer Federschmuck vom Großen Waldvogel, Jaguarfelle und Sklaven. Alles erbeuteten sie. So viel Macht erlangten die Auserwählten Stämme wieder, wie sie seit tausend Jahren nicht mehr besessen hatten.
    So sprach der Fürst zu den versammelten Kriegern. Ziehet nun aus in jenes Land. Habt keine Furcht. Falls Feinde auftauchen, bekriegt sie, tötet sie. Und gebt uns Nachricht, daß wir euch zu Hilfe kommen. Das waren seine Worte. Und das gewaltige Kriegsheer machte sich auf. Es zogen aus die aufgerufenen Späher, die Bogenschützen, die Schleuderer, die Speerwerfer. Über die Hügel zogen sie. Auch die Ufer der Meere besetzten sie. Auf Befehl des Fürsten machten sie sich auf den Weg. In den Norden zogen sie. Gewaltige Städte legten sie an, um die Macht der Auserwählten Stämme zu zeigen.
    Glücklich waren die Auserwählten Diener. In Frieden lebten sie. Wahrlich, groß war ihr Reich. Keinen Schaden konnte man ihnen antun. Niemand konnte sie besiegen. Immerfort wuchs ihre Macht. Mit der Ankunft der Goten nahm alles seinen Anfang. Furcht befiel die großen und die kleinen Stämme. Angst vor den Eisenkriegern hatten sie. Den Auserwählten Stämmen wollten sie dienen. Und viele Geschenke brachten sie mit. Die Priester aber hoben ihr Antlitz zum Himmel. Für die mächtigen Verbündeten dankten Sie. Weihrauch und Bienenhonig opferten sie. Und so flehten sie zu den Göttern, so war der Ruf ihres Herzens: Gebt uns Töchter und Söhne. Behütet unser Volk vor Fall und Sünde. Behütet es vor Unzucht, vor Sturz beim Aufstieg und beim Abstieg. Gebt uns gute Pfade und Wege. Laßt kein Unheil, keine Schuld auf diesen Bund fallen. Sorgt für die Eintracht an den vier Weltecken, an den vier Seiten der Welt. Damit Friede herrsche und Glück im Reiche der Auserwählten Stämme.
    Es war vor unendlich vielen Jahren, als Sonne und Mond heiraten wollten. Aber niemand schloß ihren Bund. Denn die Liebe der Sonne war glühend und würde die Erde verbrennen. Und die Tränen des Mondes waren zahllos und würden das Land überschwemmen. Deshalb schloß niemand ihren Bund. So trennten sich Sonne und Mond. Der Mond wanderte zu der einen Seite und die Sonne zu der anderen. Aber der Mond weinte den ganzen Tag. Auch die ganze Nacht weinte er. Und seine Tränen der Liebe flossen zur Erde, über das Land bis zum Meer, Da wurde das Meer zornig. Abweisend waren seine Wasser, die ein halbes Jahr nach oben fließen und ein halbes Jahr nach unten. Und so ließ der Mond seine Tränen auf das Land fallen und machte mit ihnen den Großen Fluß.
    Da erreichte den Hohen Rat eine seltsame Kunde von fremden, bärtigen Männern und von gewaltigen Schiffen, die lautlos über die Wasser gleiten und deren Masten bis in den Himmel reichen. Es kam die Kunde von weißen Fremden, stark und mächtig wie die Götter. Wie unsere Altväter waren sie. Und der Hohe Rat ließ Freudenfeuer entzünden. Der Früheren Herren gedachte er. Opfergaben spendete er für die Götter, die endlich zurückgekehrt waren. Und die frohe Kunde lief von Mann zu Mann. von Stamm zu Stamm verbreitete sich die Nachricht, wie das Trommelschlagen bei Tag und bei Nacht. Und das ganze Volk brach in Freudentränen aus. Denn die Prophezeiung hatte sich erfüllt. Die Götter kehrten zurück.
    Wehe uns. Die Zeichen sind unheilvoll. Nicht gelb und hell ist die Sonne, sondern rot, wie von dickem Blut. so sprachen die Priester. Nicht Frieden bringen die Fremden. Nicht dem Vermächtnis der Altväter vertrauen sie, Aus Blut sind ihre Gedanken. Mit Blut überziehen sie das ganze Reich.
    Gewaltige Schiffe erreichten die Küste, Lautlos kamen sie über das Wasser. Und bärtige Männer gingen an Land, mit mächtigen Waffen und seltsamen Tieren, so schnell und stark wie der Jaguar auf der Jagd. Und in einem Tag erwuchsen Ataualpa mächtige Gegner. Grausame Feinde gewann er, falsch und voller Hinterlist.
    Furchtbares berichteten die Kriegsspäher. Schrecklich waren ihre Enthüllungen, Ataualpa mußte seinen Hochmut teuer bezahlen. Einer Kriegslist der Fremden fiel er zum Opfer, Durch Verrat wurde er gefangengenommen. Gebunden wurde der zweitgeborene Sohn des Huayana Capac. Getötet wurden seine Krieger durch die Waffen der Weißen. Die Ebene war rot von Blut. Knöcheltief stand das Blut auf den Feldern, als die Inkas die Schlacht verloren. Und weiter zogen die bärtigen Krieger. Bis nach Cusco kamen sie, mordend und plündernd. Sie schändeten die Frauen. Sie raubten das Gold. Sogar die Gräber brachen sie auf. Not und Verzweiflung kehrte auf den Bergen ein, wo einst Ataualpa mächtig war, der Fürst der Söhne der Sonne.
    Wehe den Söhnen der Sonne. Welch schreckliches Schicksal hat sie ereilt. Das Vermächtnis der Götter verrieten sie und wurden jetzt selber verraten. Gezüchtigt wurden sie. Blutig geschlagen von den Weißen Barbaren. Denn keine Gnade kannten die Fremden. Die Frauen schonten sie nicht und nicht die Kinder. Wie böse Tiere benahmen sie sich, wie Ameisen, alles zerstörend, was sich ihnen in den Weg stellte. Für die Söhne der Sonne brach die Blutzeit an. Ein ganzes Volk büßte für die Sünden des Viracocha. Die Hundetage begannen, da die Sonne und der Mond verdunkelt sind von Blut.
    Und so verschloß der Hohepriester die Heilige Stadt. Das Geheimnis des Erhabenen Göttersohns verbarg er, des Schöpfers und Farmers, des Herrschers über die vier Winde, über die viel Ecken der Welt und über das Antlitz des Himmels. Und mit diesen Worten verhüllte er das Geheimnis: Du mußt im Schatten deines Schattens stehen, wenn sich das Auge der Götter erhebt und die Erde noch dunkel ist von der Nacht. Dann zeigt dir der Schatten deines Schattens den Weg. Er zeigt dir die Richtung vom Herzen des Himmels zum Herzen der Erde.
    Am Akai war es, wo die Krieger aufeinanderstießen. Die Weißen Barbaren mit ihren furchtbaren Waffen und die Eisenkrieger der Auserwählten Diener. Lange Zeit blieb die Schlacht unentschieden. Erbittert kämpften die Heere. Dann wagten die Auserwählten Diener den Angriff. Bis in das Herz ihrer Feinde stießen sie. Sie blendeten ihnen die Augen mit Fackeln. Sie behinderten ihre Beine mit Stricken. Mit Steinen schlugen sie ihnen aufs Haupt, bis Blut aus Mund und Nase lief. Und da flohen die Weißen Barbaren in panischer Angst, alles hinter sich lassend, ihre Waffen und ihre Rüstungen, ihre Tiere und ihre Sklaven. Nur ihr Leben wollten sie retten. Aber auch das gelang ihnen nicht. Kaum einem gelang die Flucht, und viele wurden als Gefangene nach Akakor gebracht.
    Das ist die Kunde. So sprach der Hohepriester zu den Weißen Barbaren: Wer hat euch geboren, daß ihr über Tod und Leben bestimmt? Wer seid ihr, daß ihr das Vermächtnis der Götter mißachtet? Woher kommt ihr, daß ihr unser Land mit Krieg überzieht? Wahrlich, böse sind eure Taten. Blut habt ihr vergossen. Auf Menschenjagd seid ihr gegangen. Die Stämme der Söhne der Sonne habt ihr vernichtet und ihr Blut in den Bergen versprengt. So waren die Worte des Hohepriesters. Schrecklich waren sie. Doch hartherzig blieben die Weißen Barbaren, und es dauerte geraume Zeit, bis sie ihr Schicksal erkannten. Ewige Gefangenschaft stand ihnen bevor.
    Roter Saft rinnt aus den Bäumen. Saft wie Blut. Wie wirkliches Blut. So sprachen die Boten der Verbündeten Stämme, als sie zu den Auserwählten Dienern kamen. Denn auch im Osten waren die Weißen Barbaren gelandet, mit ihren Schiffen, die lautlos über die Wasser gleiten und deren Masten bis in den Himmel reichen. Mit ihren Waffen kamen sie, die grollend aus der Ferne töten und deren Pfeile man nicht sieht. So besetzten sie das Land, Das berichteten die Boten. Und voller Ungeduld warteten sie. Den Beschluß des Hohen Rates erbaten sie. Um den Beistand der Götter flehten sie: Verlaßt uns nicht. Gebt 'unseren Männern Waffen, damit wir den Feind aus dem Land treiben, daß es wieder hell werde im Reich der Auserwählten Diener. So sprachen die Boten, die leidenden Krieger, die verzweifelten Männer der Verbündeten Stämme. Und die Sonne erwarteten sie, die des Himmels Gewölbe erhellt und das Antlitz der Erde. So warteten sie und überbrachten Akakor die Kunde von der Ankunft der Weißen Barbaren im Osten.
    Das ist der Bericht vom Abfall der Umherziehenden. Als sie die Kunde von den bärtigen Kriegern vernahmen, wunderten sie sich sehr. Warum nicht hingehen? Warum sich die Fremden nicht besehen? So riefen sie aus : sicher bringen sie uns große Geschenke mit, größer als diejenigen der Auserwählten Diener. Und so machten sie sich auf. Zum Rand des Meeres gelangten sie, bis zu den Schiffen der Weißen Barbaren. Die bärtigen Fremden empfingen sie freundlich. Klug gingen sie vor. Sie schenkten ihnen feine Kleider, glänzende Perlen überreichten sie ihnen. Das gaben sie ihnen zum Zeichen der Freundschaft. Danach gelüstete es die Umherziehenden so sehr, daß sie das heilige Vermächtnis der Götter vergaßen. Den Weißen Barbaren lieferten sie sich aus. So ging ihr Bund mit den Auserwählten Dienern zu Ende. Lhasa hatte ihn geschlossen. Heilig war er gewesen. Jetzt verlor er seinen Wert. Nichts als Knochen blieben davon übrig. Aber das Vermächtnis der Götter ist größer. Es ist stärker als der Verrat der Verbündeten Stämme. Sein Wesen verliert sich nicht. Es vergeht nicht. Es verlöscht nicht das Bild der Früheren Herren. Nicht in tausend Jahren. Niemals.
    Furchtbar war das Schicksal der Aufständischen. Ihre Gesichter und ihre Körper, ihre Seelenwaren rot von Blut. Ruhelos zagen ihre Schatten durch das Land. Alle Peinigungen erlitten sie. Getötet wurden sie. Nicht einer wurde mit dem Leben verschont. Ihre falschen Herzen bezahlten sie mit dem Tod. Falsche Herzen hatten sie, schwarz und weiß zugleich. Und mit dem Tod bezahlten sie ihren Verrat.
    Laßt uns in den Krieg ziehen. So sprachen die Frauen. Sind wir nicht zahlreich genug, um die bärtigen Fremden zu vertreiben? Sind wir nicht stark genug, um sie zu besiegen? Und die Frauen der Akahim erhoben sich. Sie zerbrachen ihre Schüsseln. Die Töpfe zerschlugen sie. Das Herdfeuer löschten sie aus. Und sie zogen in den Krieg. Den Weißen Barbaren wollten sie ihre Kraft zeigen. Zermalmen wollten sie ihre Knochen, zu Staub zerreiben ihr Fleisch.
    Rot war die Erde. Rot von wirklichem Blut. Aber es war ein guter Tod, den die tapferen Akahim landen. Es war der beste. Die Kraft ihrer Feinde brachen sie. Ihre Gebeine zerrieben sie wie Mais zu Mehl. In das reißende Wasser streuten sie ihre Knochen. Und das Wasser trug sie davon, durch die Kleinen und die Großen Berge.
    Tona war unzufrieden mit ihrem Mann. Unglücklich war sie. Schwer war ihr Herz. Da ging sie zum Hohenpriester und bat ihn um Rat. Hilfe wollte sie. Von ihrem Mann wollte sie sich trennen. Aber der Hohepriester befahl Tona Geduld. Bei ihrem Mann sollte sie bleiben, bis sie seine zehn größten Fehler niedergeschrieben hätte. Erst dann dürfe sie ihn verlassen. Und Tona kehrte in ihr Haus zurück. Niederschreiben wollte sie die zehn größten Fehler ihres Mannes. Festhalten wollte sie, was ihr an ihm nicht gefiel. Aber als sie seinen ersten Fehler entdeckte, fand sie ihn des Niederschreibens nicht wert. Und als sie den zweiten Fehler entdeckte, hielt sie ihn für zu gering, So verging Tag um Tag. Ein Mond folgte dem anderen. Und die Jahre vergingen. Und Tona wurde alt. Keinen Fehler ihres Mannes hatte sie niedergeschrieben. Glücklich war sie, ein Beispiel für ihre Kinder und Kindeskinder.
    Die Weißen Barbaren traten zusammen. Ihre Waffen nahmen sie und ihre Tiere, auf denen man gehen kann. Zahlreich waren ihre Krieger, als sie den Großen Fluß hinaufzogen. Aber die Auserwählten Diener wußten um ihr Kommen. sie hatten nicht geschlafen. sie hatten die Feinde beobachtet, als sie sich rüsteten. Dann begaben sich die Weißen Barbaren auf den Weg. Des Nachts planten sie anzugreifen, wenn die Auserwählten Diener der Götter gedenken. Aber sie kamen nicht an ihr Ziel. Unterwegs überwältigte sie der Schlaf. Und da kamen die Krieger der Auserwählten Stämme. Sie schnitten ihnen Augenbrauen und Lippenbart ab. Den Silberschmuck lösten sie von ihren Waffen und warfen ihn in den Großen Fluß. Das taten sie zur strafe und zur Erniedrigung. So zeigten sie ihre Macht.
    Das war der Anfang vom Niedergang. Das war das ruhmlose Ende des Reiches. So begann der Sieg der Weißen Barbaren, sie waren wie böse Geister, aber auch mächtig. Wirklich stark waren sie. Aber es war nicht gut, was sie taten und welche Verbrechen sie begingen im Angesicht des Lichts. Und die Auserwählten Diener taten sich zusammen. Ihre Waffen nahmen sie auf. Die Weißen Barbaren wollten sie treffen. Kämpfen wollten sie. An den vier Ecken des Reiches wollten sie ihnen ein Ende bereiten. Ihrer mächtigen Waffen nicht fürchtend, wollten sie Rache nehmen für ihre Verbrechen. Denn weder Macht noch Reichtum hatte die Auserwählten Diener jemals so verblendet wie die Weißen Barbaren.
    Was sind das für Menschen, die selbst ihrer eigenen Götter nicht achten, die töten aus Freude an fremdem Blut. Elendiglich sind sie. Knochenbrecher sind sie. Selbst ihre eigenen Brüder schlagen sie blutig, zehren sie aus bis auf die Knochen, zerstreuen ihre Gebeine auf den Feldern. Das sind sie: Knochenbrecher, Schädelzertrümmerer, elendige Menschen.
    Die Stämme der Auserwählten Diener kamen zusammen. Vor dem goldenen Spiegel versammelten sie sich, um für das Licht zu danken und die Toten zu beweinen. Sie zündeten Harz an und Zauberkraut und Weihrauch. Und zum ersten Mal in der Geschichte sangen die Auserwählten Diener auch das Lied von der Schwarzen Sonne. Voller Schmerz und Leid :

Wehe uns,
Die Sonne scheint schwarz.
Ihr Licht bedeckt die Erde mit Kummer,
Ihre Strahlen verkünden den Tod.
Wehe uns,
Die Krieger kehrten nicht zurück,
Fielen am Großen Fluß in der Schlacht.
Die Bogenschützen und die Späher,
Die Schleuderer und die Speerwerfer.
Wehe uns,
Die Sonne scheint schwarz.
Finsternis liegt über der Erde.

    Die Weißen Barbaren nahmen das Land. Sie bevölkerten die Ufer am Großen Fluß. Söhne und Töchter hatten sie. Die Felder bebauten sie. Dörfer aus Kalk und Mörtel legten sie an. Große Taten vollbrachten sie. Aber sie hatten keine Seele und keinen Verstand. Das Vermächtnis der Götter war ihnen fremd. Die Weißen Barbaren glichen den Menschen. Sie sprachen wie Menschen. Aber sie waren schlimmer als die wilden Tiere.
    Das ist die Geschichte vom Überfall auf die Hauptstadt der Weißen Barbaren. Hier werden wir seinen Verlauf beschreiben. Überdenkend alle Verbrechen, alles Leid und allen Schmerz, die sie den Auserwählten Stämmen zugefügt hatten, beschloß Sinkaia den Krieg. Und so sprach er zu den mutigsten Kriegern: Das ist der Auftrag, den wir euch geben. Vorwärts sollt ihr gehen, eindringen in das Reich unserer Feinde. Eure toten Brüder sollt ihr rächen. Rache nehmen für das Blut, das seit der Ankunft der weißen Barbaren geflossen ist. Nehmt die besten wallen, die schnellsten Bogen, die schärfsten Pfeile und öffnet ihnen die Brust. Zündet ihre Häuser an, tötet ihre Männer. Frauen und Kinder aber laßt am Leben. Denn auch in diesem Kampf wollen wir das Vermächtnis der Altväter ehren. Zuvor aber geht in den Tempel der Sonne. Verabschiedet euch von den Göttern, denn Rückkehr wird euch kaum beschieden sein. Aber beeilt euch. Der Bote mit dem Goldenen Pfeil ist schon auf dem Weg. Am Tag gleich wie bei Nacht eilt er euch voraus. Krieg bringt er den Weißen Barbaren.
    Ein gewaltiges Heer haben wir nicht mehr. So sprachen die Feldherren vor dem Hohen Rat. Auch haben wir keine Verbündeten mehr und keine Festungen zum Schutz des Reiches. Vor dem übermächtigen Feind weichen unsere Krieger zurück. Über Berge und durch Täler werden sie gejagt. Aber noch können wir uns zusammentun. Noch können wir sie angreifen mit unseren Pfeilen und Bogen. Ihre Dörfer können wir überfallen, wo sie ihre Häuser errichtet haben und wo ihre Schiffe verankert sind. So sprachen die Feldherren vordem Hohen Rat, und die Zuhörer waren ergriffen vor ihrem Mut.
    Eingeweihte waren ihre Häuptlinge. Alles wußten sie über das Auserwählte Volk. Aber ihr Schweigen brachen sie nicht. Ehrfurcht erfüllte ihre Herzen. Ihr Haupt verneigten sie, wenn sie der Götter gedachten.
    So zogen sie nun los, die Krieger der Auserwählten Stämme, mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Bis zu den Hohen Bergen gingen sie und hinunter zum Großen Fluß. Zwischen Tieren und Vogelscharen gingen sie hindurch, mit wurfbereitem Messer und spitzen Bambusspeeren. Und auch über den Großen Wasserfall gingen sie, dorthin, wo sie Wache stehen sollten. Als Kundschafter standen sie an den vier Wegen, am Blauen und am Schwarzen, am Roten und am Gelben Weg. Da standen sie und stachen die Weißen Barbaren tot, die es wagten, nach Akakor vorzudringen.
    Deshalb hatten die Auserwählten Stämme ein glückliches Leben. Aus einer einzigen Quelle stammten ihre Gesetze. Nur eine Ordnung gab es. Danach verfuhren die Auserwählten Diener. In allem, was sie taten, folgten sie dem Vermächtnis der Götter. Denn sie lehrten uns die Frucht vom Baum brechen und die Knolle aus der Erde heben. sie gaben uns Pfeil und Bogen, um unseren Leib zu schützen gegen alle Feinde. sie gaben uns die Freude beim Tanz und beim Spiel, sie lehrten uns Jas Geheimnis des Menschen, der Tiere und der Pflanzen.
    Und Jakob trat vor den Hohen Rat. Um mit seiner Verteidigung zu beginnen, hob er die Stimme. Aber ein seltsames Gefühl ergriff ihn. Menschen sah er vor sich, die er befohlen hatte zu töten, Menschen wie er, mit weißer Hautfarbe und gerechtem Blick. Und Jakob fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Das Blut stieg ihm zu Kopf. Sein Mund war ausgedörrt. Und die mächtige Waffe entfiel seinen Händen. In seiner irren Not flehte er zu seinem Gott. Von den Gesetzen seines Volkes begann Jakob zu sprechen. Es ist besser, die Wilden zu töten, als sie leben zu lassen. Denn sie sind wie die Tiere im Wald. So hat man mir befohlen. Danach ist mein Handeln. Jetzt ergriff Magus das Wort, der Hohepriester der Auserwählten Stämme: Du hast über dein Volk gesprochen wie ein Mann, der sich für einen Gott hält und über Leben und Tod bestimmt. Aber weißt du auch, daß das wahre Leben über den Tod hinausreicht? ich, du, alle, wir hatten schon ein Dasein vor diesem Leben. Und wir werden auch nach dem Tode weiterleben. Deshalb kümmert uns weder Geburt noch Tod. Die vergänglichen Empfindungen sind uns fremd. Glück und Leid, Hitze und Kälte bedeuten uns nichts. Frei sind wir, frei von diesen vergänglichen Empfindungen, wirklich frei. Und nur der geht in das Zweite Leben ein, der diese Wahrheit erkannt hat, den wahren Sinn von Leben und Tod. Denn das eigentliche Ich, das in unserem Körper wohnt, ist weder Zeit noch Raum unterworfen, Niemand kann es zerstören. Unzerstörbar ist es. Es kennt weder Geburt noch Tod. Keine Waffe kann es verletzen, kein Feuer kann es verbrennen, kein Wasser kann es ertränken, keine Hitze kann es ausdörren. Für dich aber endet alles mit dem Tod. - Sage mir, Priester, fragte da Jakob, welches ist der Weg deines Volkes? Wie erfüllt ihr die Gesetze eurer Götter? Und Magus antwortete: Zwei Wege führen zu diesem Ziel, Tätigkeit und Wissen. Durch rechtes Handeln kann man Wissen erlangen. Ohne Weisheit kommt man nicht zum Ziel. Die höchste Aufgabe meines Volkes ist der Dienst an der Gemeinschaft. Seine schlimmsten Feinde sind Gier und Zorn. Jetzt wurde Jakob zornig. Böse waren seine Worte. Hartherzig drohte er. Wenn ihr mich auch tötet, so werdet ihr doch nicht leben. Denn mein Volk ist wie die Ameise. Unermüdlich ist sein Schaffen. Keinen Widerstand kennt es. Da ging ein Raunen durch die Anwesenden. Bitterkeit erfüllte die Herzen der Menschen. Und der Hohepriester erhob sich. Die letzte volle Wahrheit sagte er: Ein Mensch, der sich an nichts bindet, sich nicht als ein Werkzeug der Götter sieht, ist kein Mensch. Verrufen ist er. Verloren ist er, wie das waidwunde Tier im Wald. Ihr Weißen Barbaren habt keinen Glauben. Den Willen der Götter verleugnet ihr. Auch die eigenen Gesetze achtet ihr nicht. Deshalb wirst du sterben, wie auch alle deine Freunde.
    Alles ist Wiederholung. Nichts vergeht, das nicht wieder begonnen werden kann. Alles ist schon einmal dagewesen. Sieg und Niederlage. Macht und Schwäche. Seit ewigen Zeiten wiederholt sich die Natur. Nur das Vermächtnis der Götter bleibt bestehen. Ewig. Für alle Zeiten.
    Schon waren die Weißen Barbaren zahlreich geworden. Manche hatten sich zu Gemeinden niedergelassen. Andere kamen und gingen auf den Pfaden dahin. Und sie kreischten wie der Große Waldvogel und brüllten wie der Jaguar. Angst wollten sie den Auserwählten Dienern einjagen. Vertreiben wollten sie ihre Krieger, vernichten die letzten der Auserwählten Stämme. Und so sprach der Hohe Rat: Wir müssen die Fremden bekämpfen. Töten müssen wir die Weißen Barbaren. Sie morden unsere Frauen, rauben unser Land und verehren die falschen Götter. Wir wollen ihre Ohren und Ellenbogen durchstechen und ihnen ihre Manneskraft rauben. Töten wollen wir sie, einen nach dem anderen. Und wenn einer oder zwei gehen, legt ihnen einen Hinterhalt. Versprengt ihr Blut auf den Wegen und legt ihren Kopf am Flußufer nieder, wo viele unserer Krieger den Tod gefunden haben.
    Wir werden jetzt die Namen und Titel aufzählen. Von Allen Anwesenden werden wir berichten, die nach Akakor kamen, um den Bund zwischen Reinha und dem Fürsten zu feiern. Der Fürst der Auserwählten Stämme war Sinkaia, der erstgeborene Sohn des Uma, der ehrwürdige Nachfolger des Göttersohns Lhasa. Ihm zur Seite standen der Hohepriester Magus und der Oberste Feldherr Ina. Das waren die ersten des Volkes, die der neuen Fürstin huldigten. Dann folgten der Hohe Rat, die Herren des Hauses Hama, des Hauses Magus und des Hauses Maid. Und auch die Krieger kamen zusammen. Selbst das einfache Volk eilte herbei. Alle grüßten die neue Herrin mit der gebührenden Ehrfurcht.
    So wurde die Gleichheit aller Stämme eingeführt. Die Bogenschützen und die Speerwerfer, die Schleuderer und die Späher, die Ältesten und die Feldherren, alle Titel und Würdezeichen standen jetzt allen ollen. Nur das Amt des Fürsten und die Ränge der Priester, das blieb dem Auserwählten Volk vorbehalten, den rechtmäßigen Nachkommen der Früheren Herren.
    Das ist der Bericht von der Geburt des erstgeborenen Sohnes des Fürsten Sinkaia. Wie die Sonnenstrahlen am frühen Morgen verbreitete sich die Kunde im ganzen Land, und groß war die Freude der Auserwählten Diener. Voller Wärme waren ihre Herzen. Plötzlich schwand ihre Trauer. Leichtmütig wurden ihre Gedanken. Denn hoch geachtet war Sinkaia, angesehen seine Familie. Die Fortsetzung des Hauses Lhasa war gesichert. Jetzt konnte es nicht mehr verlöschen. Es konnte nicht mehr vergehen das Geschlecht des Fürsten, des obersten Dieners der Früheren Herren. So sprach das Volk, so sprachen die Krieger. Nur der Hohepriester saß in Schweigen gehüllt. Und er vollführte die vorgeschriebenen Beschwörungen. Um die Zukunft zu deuten, öffnete er den Baum. Aber roter Saft rann aus dem Baum, fiel in die Schale. Zu etwas Rundem wurde er, wie ein Herz geformt. Saft wie Blut rann heraus, wie wirkliches Blut. Dann gerann das Blut. Der Saft bedeckte sich mit einer glänzenden Kruste, die ein furchtbares Geheimnis umschloß. Der letzte Fürst war geboren, der letzte aus dem Geschlecht Lhasas.
    Weise waren die Deutschen Anführer und von Urteil ihre Gedanken. Ihre Worte entsprachen ihren Herzen. Und sie sagten: Aufbrechen müssen wir. Dorthin zurückkehren wollen wir, wo unser Volk die mächtigen Waffen schmiedet. Aber wir werden euch nicht vergessen. Eure Worte bewahren wir. Wir kehren bald zurück. Um eure Feinde zu vernichten, kommen wir wieder. So sprachen sie beim Weggang. Und dann gingen sie dorthin, wo die Heimat ihres mächtigen Volkes ist.
    So erreichten die Deutschen Soldaten Akakor. Und so richteten sie sich ein. Mit offenen Herzen kamen sie. Geschenke brachten sie und tausenderlei mächtige Waffen zum Kampf gegen die Weißen Barbaren. Und so sprach der Hohe Rat: Das ist der Anfang von der Neuentstehung des Reiches. Nicht mehr fliehen müssen die Auserwählten Diener, in Ehren kehren die Krieger in den Kampf zurück. Rächen wollen sie die Verbrechen der Weißen Barbaren. Denn kriegssüchtige Eulendiener sind sie, Verführer und Lästerer. Falsch sind ihre Herzen, schwarz und weiß zugleich. Aber das Vermächtnis der Götter geht in Erfüllung. Tod steht ihnen bevor.
    Jetzt nun sei von Akakor die Rede, von den Feiern im Tempel der Sonne und von den Gebeten der Priester. Ihr Antlitz hoben sie zum Himmel. Um den Beistand der Götter flehten sie. so war der Ruf ihres Herzens: Oh du schönes Licht, du Herz des Himmels, Herz der Erde, du Spender des Überflusses. Gib uns deine Kraft, verleih uns deine Macht. Laß unsere Krieger den Sieg erringen, auf Weg und Steg und in der Schlucht, auf den Wassern, im Wald und in der Lianenwildnis.
    Alle waren sie beisammen, die Stämme der Auserwählten Diener und die Verbündeten Völker, alle kleinen und alle großen Stämme. Am gleichen Ort befanden sie sich. Am gleichen Platz warteten sie auf den Beschluß des Hohen Rates. Demütig standen sie da, nachdem sie unter Leiden hierher gelangt waren. Und der Hohepriester sprach: Was haben wir getan, daß uns die Weißen Barbaren wie Tiere verfolgen und in unser Land einbrechen wie der Jaguar auf der Jagd. Zu einem traurigen Ziel sind wir gelangt. Wenn doch die Sonne scheinen wollte, die uns den Frieden bringt. So sprach der Hohepriester. In Trübsal und Not, unter Seufzern und Tränen sprach er. Denn der Hohe Rat wollte den Krieg beschließen, den letzten in der Geschichte des Auserwählten Volkes.
    So sprach der Hohepriester zu den Verbündeten: Seid nicht betrübt, daß ihr eure Brüder nicht mehr seht. Jene habt ihr für immer verloren. Auf ewig haben euch die Götter von ihnen getrennt. Aber seid nicht mutlos. Seid stark. Laßt uns das Schicksal gemeinsam versuchen. Hier sind wir, eure neuen Brüder. Gemeinsam wollen wir den Altvätern dienen. - Und die Deutschen Soldaten gingen an die Arbeit. Um vor dem Angesicht der Götter zu bestehen, nahmen sie ihr Werkzeug auf. Die gleiche Arbeit verrichteten sie wie das Auserwählte Volk.
    Was wird sein? Hungrig waren die Auserwählten Stämme. Das Gras der Felder aßen sie. Die Rinde der Bäume diente ihnen als Nahrung. Arm waren sie. Nichts mehr besaßen sie. Nur Felle der Tiere waren ihre Bekleidung. Aber die Weißen Barbaren ließen ihnen keine Ruhe. Ohne Erbarmen drangen sie vor. Blutig schlugen sie die Krieger. Von der Erde vertilgen wollten sie das Auserwählte Volk.
    Gestorben war Sinkaia, der rechtmäßige Nachfolger des Erhabenen Göttersohns Lhasa. Und bitterlich beweinten ihn die Auserwählten Krieger. Die Lichtklage stimmten sie an, denn verlassen hatte sie Sinkaia, der Fürst aller Fürsten. Kein Verbrechen hatte er begangen und nicht Unrecht gesetzt an die Stelle von Recht. Ein würdiger Nachfolger war er gewesen, wie er hatte geherrscht, wenn der Wind vom Süden kam, wenn der Wind vom Norden kam, wenn der Wind kam vom Westen und vom Osten. Und so ging Sinkaia in das Zweite Leben ein. Begleitet von den Klageliedern seines Volkes, stieg er am östlichen Himmel auf.
    Götter des Himmels und der Erde, die ihr des Menschen Schicksal bestimmt und regiert. Götter der Dauer und der Ewigkeit. Der Ewigkeit Fürsten. Hört denn mein Flehen: Nehmt ihn auf in euer Reich, seine Taten vergesset nicht, die Taten des großen Fürsten Sinkaia. Denn sein Leben kehrt zu euch Göttern zurück. Euren Befehlen gehorcht es jetzt. Niemals wird es euch verlassen. Mit euch wird es weiterbestehen, in den Reichen der Ewigkeit, in den Reichen des Lichts.
    Das waren die Götter. Vernunft besaßen sie, Wissen und Weitblick zugleich. Wenn sie schauten, sahen sie alles, jedes Staubkorn auf der Erde und am Himmel, selbst die fernverborgenen Dinge sahen sie. Die Zukunft war ihnen bekannt. Und nach diesem Wissen planten sie. Vorausblickend in Nacht und Dunkelheit, behüteten sie das Schicksal der Menschen.
    Drei Jahre waren vergangen seit dem Tod Sinkaias, des unvergleichlichen Fürsten. Da kamen die Auserwählten Diener zusammen, die Deutschen Soldaten und die Verbündeten Stämme. Alle Stände und Rassen kamen zusammen, um zu beratschlagen und nach einem Weg zu suchen für die Rettung der Menschen. Und selbst jene, die keine Häuser haben und einzeln durch den Wald gehen, kamen nach Akakor. Denn groß war ihre Not. Trübe schien die Sonne. Der Himmel war mit Wolken bedeckt. Die Menschen lebten in Armut. In den Wäldern gingen sie umher, auf der Flucht vor ihren Feinden. Ihr Angesicht hoben sie zum Himmel. Zu den Göttern flehten sie. Um Hilfe baten sie für den Kampf gegen die Weißen Barbaren.
    Groß war die Not der Auserwählten Diener. Die Sonne verbrannte die Erde. Die Früchte verdorrten auf den Feldern. Eine schreckliche Trockenheit breitete sich aus. Auf den Bergen und in den Tälern, auf den Ebenen und in den Wäldern hungerten die Menschen. Das schien das Schicksal der Auserwählten Diener zu sein. Ausgelöscht zu werden, vertilgt von der Erde. so schien der Wille der Götter, die ihrer Brüder nicht mehr gedachten, die vom gleichen Blut sind und den gleichen Vater haben.
    Das ist der Abschied Tatuncas, des rechtmäßigen Fürsten der Auserwählten Stämme. Stark war er. Sein Volk verließ er. Wie die Große Wasserschlange näherte er sich lautlos dem Feind. Allein machte er sich auf. Beschützt von den Gebeten der Priester im Großen Tempel der Sonne: O ihr Götter. Verteidigt ihn gegen die Feinde in dieser Zeit der Finsternis, in dieser Nacht der Bösen Schatten. Möge er nicht stürzen. Möge er den Haß der Weißen Barbaren besiegen und ihre Falschheit und List überwinden. Denn Frieden ersehnt das Auserwählte Volk. Und so machte sich Tatunca auf den beschwerlichen Weg. Begleitet von dem Auge der Götter ging er abwärts die Schlucht, kreuzte den reißenden Fluß und überschritt ihn, ohne zu fallen. An das andere Ufer gelangte er. Weiter wanderte er, bis zu dem Ort, wo die Weißen Barbaren ihre Häuser errichtet hatten, aus Mörtel und Kalk.
    Das sind die Weißen Barbaren. Voller Haß sind ihre Herzen. Grausam sind ihre Taten. Einsicht zeigen sie nicht. Neidgesichter haben sie. Zwei Herzen, schwarz und weiß zugleich. Nach Reichtum und Macht trachten sie. Böses sinnen sie gegen die Auserwählten Stämme, die ihnen kein Leid getan haben. Doch die Götter sind gerecht. sie bestrafen den, der gegen ihr Vermächtnis verstößt. Teuer werden die Weißen Barbaren ihre Verbrechen bezahlen, Sühne werden sie leisten. Denn der Kreis schließt sich. Unheilvolle Zeichen stehen am Himmel. Nicht mehr weit ist die dritte Große Katastrophe, die sie vernichten wird, wie das Wasser das Feuer und das Licht die Dunkelheit.
    Und die Priester versammelten sich. Dreizehn Tage fasteten sie im Großen Tempel der Sonne. Ihr Leben wollten sie opfern. Ihre Herzen wollten sie hingeben für ihre Kinder, für ihre Frauen und ihre Nachkommen. Für ihr Volk wollten sie sterben. Das war der Preis, den sie bereit waren zu zahlen. Das war die Bürde, die sie übernehmen wollten, um die Auserwählten Stämme zu retten.
    Es war vor unendlich vielen Jahren. Da lag ein Pflasterstein auf der Straße zum Großen Tempel der Sonne. Er sah die Menschen über sich hinwegschreiten, um den Göttern zu opfern. Menschen aus allen vier Ecken der Welt sah er. Da erfaßte den Pflasterstein Sehnsucht. Und als der Hohepriester über ihn hinwegschritt, bat er ihn um Beine. Das verwunderte den Hohepriester sehr. Doch der weise Mann, der Zauberer, der Herr aller Dinge, gab dem Pflasterstein Beine. Vier Beine gab er ihm, die niemals anhalten würden. Und der Pflasterstein machte sich auf den Weg. Über Berge und durch Täler, über Ebenen und durch Wälder, hierhin und dorthin gelangte er. Bis er alles gesehen hatte und müde wurde vom Schauen. So kehrte er zum Großen Tempel der Sonne zurück. Aber als er zu seinem alten Platz in der Straße kam, war er schon besetzt. Da wurde sein Herz traurig und er weinte bittere Tränen. Und der Pflasterstein erkannte die Wahrheit: Nur wer seine Aufgabe in der Gemeinschaft erfüllt, erfüllt die Gesetze der Götter.
    Wehe uns. Das Ende ist nahe. Zu einem traurigen Ziel sind wir gelangt. Was haben die Auserwählten Diener getan, um so tief zu fallen? Wenn doch die Früheren Herren zurückkehrten. So sprachen die Männer im Hohen Rat. In Trübsal und Not, unter Seufzern und Tränen sprachen sie. Denn die Zeit neigte sich ihrem Ende zu. Schwarze Wolken verdeckten die Sonne. Verhüllt war der Morgenstern. Und der Hohepriester verneigte sich vor der Goldenen Scheibe. Im Großen Tempel der Sonne sprach er: Wer sind diese? Wer hat sie geboren? Woher sind sie gekommen? Wahrlich, unsere Herzen sind schwer, denn das, was sie tun, ist vom Übel. Grausam sind ihre Gedanken. Unheilvoll ist ihr Wesen. Aber wenn sie uns zum Kampf zwingen, dann wollen wir auch kämpfen. Mit dem Speer in der Hand, auf Pfeil und Bogen vertrauend, wollen wir sterben als Diener der Früheren Herren, die bald zurückkehren, um uns zu rächen.
    Jetzt nun sei von Magus die Rede. Ewig trägt ihn das Auserwählte Volk im Herzen. Denn er hatte nur das Wahre getan und das Gerechte. Seinem Herzen war unbekannt, was falsch und verworren ist. Den Göttern hatte er sein Leben geweiht. Ein Meister des Wissens war Magus, jedes Glied seines Körpers war mit Weisheit durchdrungen und mit Wahrheit gesättigt. Das Gleichgewicht aller Dinge kannte er. Die Herzen der Menschen durchschaute er und die Gesetze der Natur. Nicht dem Einfluß der Stunde folgten seine Taten. Fremd waren ihm Ehrgeiz und Neid. Den Befehlen der Götter gehorchend, durchlief er den Kreis. Und ihnen überließ er sich in der Stunde des Todes, die unwiderruflich kommt, wie bei Tagesanbruch die Sonne, die das Leben der Menschen bestimmt.
    Der Rückzug ist vollzogen. Um die Götter zu erwarten, kehrten die Auserwählten Diener in die unterirdischen Wohnstätten zurück. Danach ruhten ihre Herzen aus. Und ihren Söhnen erzählten sie von den vergangenen Tagen und dem Glanz der Götter, von den mächtigen Zauberern, die Berge und Täler geschaffen haben und die Wasser und das Land. Von den Herren des Himmels sprachen sie, die vom gleichen Blut sind und den gleichen Vater haben.
    Menschen der Wälder, der Ebenen und der Berge. Lallt euch folgendes sagen: Die Weißen Barbaren sind rasend geworden, Einer tötet den anderen. Alles ist Blut, schrecken und verderben. Das Licht der Erde ist am Erlöschen. Finsternis liegt auf dem Weg. Man hört nur das Flügelschlagen der Eulen und die schreie des Großen Waldvogels. Wir müssen stark bleiben gegen sie. Wenn sich einer von ihnen nähert, streckt ihm eure Hände vor. Weist ihn ab und ruft ihm zu: Schweige, du mit deiner lauten Stimme. Deine Worte sind nur Donnergrollen. Nicht mehr sind sie. Bleibe uns fern mit deinen Freuden und Lüsten, deinem wilden Raffen nach Reichtum, deiner Gier, mehr zu sein als der andere, deinem vielen sinnlosen Tun, dem wirren Machen deiner Hände, deinem neugierigen Denken und Wissen, das doch nichts weiß. Wir brauchen das alles nicht. Wir begnügen uns mit dem Vermächtnis der Götter, dessen Licht uns nicht blendet und uns nicht in die Irre führt, sondern alle Wege klarmacht, damit wir seine große Weisheit in uns aufnehmen und als Menschen leben.