[Home][Zoom]

Sechster Abschnitt

Beschreibung der Alpen und der Alpenvölker, nebst der Ligurischen Küste - Hauptvölker: Ligurer, Salyer, Tauriner, Salasser, Rhäter, Noriker, Vindeliker, Karner und Iapoden
 

§ 1

    Wahrer Anfang der Alpen bei Genua. Die Städte Albingaunum und Albium geben einen etymologischen Beweis für jene Behauptung.

    Nach Keltike jenseits der Alpen und nach den dieses Land bewohnenden Völkern muß von den Alpen selbst und ihren Bewohnern die Rede sein, sodann vom ganzen Italien, weil wir in der Beschreibung dieselbe Ordnung befolgen, welche die Natur des Landes gibt. Die Alpen demnach nehmen nicht, wie manche behaupten, beim Hafen des Monoikos ihren Anfang, sondern in derselben Gegend, in welcher auch die Apenninischen Berge bei Genua, der Handelsstadt der Ligyer, liegen, und bei den sogenannten Vada Sabbaton oder Sümpfen von Sabbata. Der Apenninos nämlich hat bei Genua seinen Anfang, die Alpen bei Sabbata; von Genua aber bis Sabbata sind nur zweihundertsechzig Stadien. Nach dreihundertundsiebzig Stadien folgt das Städtchen Albingaunon, bewohnt von jenen Ligyern, welche Ingauner heißen; von hier aber bis zum Hafen des Monoikos sind vierhundertundachtzig. In diesem Zwischenraum liegt eine große Stadt, Albion Intemelion, deren Bewohner Intemelier heißen. Einen Beweis, daß die Alpen bei Sabbata anfangen, nimmt man selbst aus diesen Namen, denn die Alpien, sagt man, hießen ehedem Albien wie auch Albionien; ja noch jetzt werde das hohe Gebirge im Lande der Iapoden, welches mit der Okra und den Alpen fast zusammenhängt, Albion genannt, als ob bis dorthin die Alpen sich erstrecken. Weil nun ein Stamm der Ligyer die Ingauner, ein anderer die Intemelier seien, so wären ihre Pflanzstädte am Meer sehr richtig die eine Albion Intemelion (gleichsam die Alpische), die andere abgekürzter Albingaunon benannt. Polybios übrigens fügt den genannten zwei Stämmen der Ligyer noch die der Oxybier und der Dekieten hinzu.
 

  § 2

    Natürliche Beschaffenheit und Erzeugnisse der Ligurischen Küste; Lebensweise, Handelsverkehr und Bewaffnung der Ligurier

    Diese ganze Küste vom Hafen des Monoikos bis gen Tyrrhenia ist überall vorwindig und außer seichten Anfahrten und Ankerplätzen hafenlos. Über ihr erheben sich, neben dem Meer einen schmalen Durchgang lassend, die ungeheuren Felsenwände der Berge. Ihre Bewohner sind die größtenteils von Zuchtvieh, Milch und Gerstentrank lebenden Ligyer, welche sowohl die Gegenden am Meer als noch mehr die Berge beweiden. Die dortigen Berge haben auch sehr viel Wald zum Schiffbau und solche Riesenbäume, daß sich manche mit einen Durchmesser von der Dicke eines achtfüßigen finden. Viele stehen auch wegen ihrer Buntfarbigkeit für Tischlerarbeiten dem Zedernholz nicht nach. Diese Hölzer liefern die Ligyer nach ihrer Handelsstadt Genua, wie auch Zuchtvieh, Häute und Honig. Als Rückfracht nehmen sie Öl und Wein aus Italien, denn der wenige, welcher bei ihnen wächst, ist pechig und herb. Von dort kommen auch die sogenannten Ginnoi oder Klepper, sowohl Pferde als Maulesel, wie auch die Ligystischen Leibröcke und Kriegsmäntel. Auch der Lingurstein findet sich bei ihnen häufig, welchen einige Elektron oder Bernstein nennen. Als Reiter ziehen sie nicht gern ins Feld, aber als schwergerüstetes Fußvolk und Fernstreiter sind sie gut. Weil sie Kupferschilde führen, so schließen einige daraus, daß sie Hellenen sind.
 

§ 3

    Hafen des Monökus. Die Salyer, ihre Wohnsitze, Namen, Kriege mit den Römern und späte Bezwingung

    Der Hafen des Monoikos ist eine Anfahrt für nicht zu große und nicht zu viele Schiffe und hat einen Tempel des sogenannten Herakles Monoikos. Aus dem Namen ist wahrscheinlich, daß die massaliotische Küstenfahrt sich bis hierher erstreckte. Von Antipolis ist er etwas über zweihundert Stadien entfernt. Schon von hier an bis gen Massalia und noch wenig weiter bewohnt das Volk der Salyer die landwärts liegenden Alpen wie auch, mit den Hellenen vermischt, einige Teile der Küste selbst. Diese Salyer nannten die älteren Hellenen Ligyer und ihr Land, welches jetzt die Massalioten besitzen, Ligystike. Die Späteren nennen sie Keltoligyer und teilen diesen noch die Landfläche zu bis an den Druentias und Rhodanos, von wo sie, in zehn Stämme gesondert, nicht nur Fußvolk, sondern auch Reiterei zu Felde sandten. Diese waren die ersten der überalpischen Kelten, welche die Romaner bezwangen, nach langwierigen Kriegen sowohl mit ihnen als den Ligyern, da sie die Zugänge nach Iberien längs der Seeküste versperrten. Denn sie raubten, wie zu Wasser, so zu Lande, und waren so mächtig, daß der Weg großen Kriegsheeren kaum gangbar blieb. Nach achtzigjährigem Kampf erreichten die Romaner kaum soviel, daß den in Staatsgeschäften Reisenden eine zwölf Stadien breite Straße freigelassen wurde. Späterhin jedoch haben sie alle unterjocht und ihnen nach auferlegter Steuer ihre Verfassungen bestimmt.
 

§ 4

    Einige Alpenvölker hinter den Salyern, Albier, Vokontier und Allobrogen

    Hinter den Salyern bewohnen die Albier und Albioiker und Vokuntier die nördlichen Teile der Gebirge. Die Vokuntier erstrecken sich bis an die Allobrigen, tief im Gebirge beträchtliche Täler besitzend, die denjenigen nicht nachstehen, welche jene besitzen. Die Allobrigen und Ligyer sind den Statthaltern untergeordnet, welche nach Narbonitis kommen, die Vokuntier aber, welches wir auch von den Völkern um Nemausos sagten, sind für sich geordnet. Von den Ligyern zwischen dem Varos und Genua werden die am Meer Wohnenden den Italioten gleichgeachtet, zu den Bergbewohnern hingegen wird, wie zu anderen völligen Barbaren, ein Befehlshaber aus ritterlichem Stand gesandt.

§ 5

    Noch einige Völker auf den höchsten Alpen. Quellen des Druentias, Durias und Padus. Beschreibung des Padus

    Nach den Vokuntiern folgen die Ikonier und Trikorier und hinter diesen die Meduller, welche die höchsten Berggipfel bewohnen; denn die steilste Höhe derselben soll im Hinaufsteigen hundert Stadien betragen und von dort nochmals soviel das Hinabsteigen zu den Grenzen Italiens. Oben steht in einigen hohlen Vertiefungen ein großer See, und zwei Quellen sind nicht sehr weit voneinander. Aus der einen kommt der Druentias, ein reißender Bergstrom, der gegen den Rhodanos hinabstürzt, der Durias aber nach der Gegenseite, indem er sich, durch die Salasser nach Keltike diesseits der Alpen hinabgeflossen, dem Pados zumischt. Aus der andern entspringt, viel niedriger als diese Höhen, der Pados selbst, stark und reißend, aber weiterfließend wird er größer und sanfter. Denn durch viele Flüsse empfängt er in den schon erreichten Ebenen Verstärkung und verbreitert sich; die Ausweitung aber hemmt und schwächt seinen Stromlauf. Er ergießt sich ins Adriatische Meer, nachdem er der größte der Ströme Europas geworden nächst dem Istros. Die Meduller übrigens liegen gerade über der Vereinigung des Isar mit dem Rhodanos.
 

§ 6

    Völker der Italischen und Helvetischen Alpen, wie Tauriner, Salasser, Rhäter u. a. Quellen des Rhodanus, Rhenus und Adduas. Römische Wege durch die Alpen. Lawinen

    Auf der andern gegen Italien geneigten Seite der erwähnten Berghöhen wohnen die Tauriner, ein ligystisches Volk, und noch andere Ligyer. Diesen gehört auch das sogenannte Gebiet des Ideonnos und das des Kottios. Hinter ihnen und dem Pados die Salasser; über diesen auf den Hochbergen die Kentronen, Katorigen, Varagrer und Nantuaten; auch der See Lemana, welchen der Rhodanos durchfließt, und die Quelle dieses Stroms. Nicht weit davon sind auch des Rhenos Quellen und der Berg Adulas, von welchem der Rhenos gegen Norden fließt, der Adduas aber nach der Gegenseite, wo er in den Larios, den See bei Komon, fällt. Oberhalb dem an der Wurzel der Alpen erbauten Komon liegen einerseits die Rhaiter und Vennonen gegen Morgen gewandt, andrerseits die Lepontier, Tridentiner, Stoner und mehrere andere kleine Völker, welche in früheren Zeiten Italien besetzten, räuberisch und arm; jetzt aber sind sie zum Teil vernichtet, zum Teil völlig bezähmt, so daß die durch sie führenden, ehedem seltenen und kaum ersteigbaren Übergänge des Gebirges jetzt vielerwärts vorhanden und ebenso sicher vor den Menschen als bequem gangbar sind, soweit solches durch Zurichtung möglich ist. Denn Cäsar Augustus verband mit der Unterjochung jener Räuber die Zurichtung mehrerer Fahrstraßen, soweit sie ausführbar war. Denn nicht überall war es möglich, Felsen und ungeheure Bergwände durchbrechend die Natur zu bezwingen, indem jene den Weg überragen, diese ihn unterlaufen, so daß die, die nur ein wenig ausweichen, sich unvermeidlich der Gefahr aussetzen, in grundlose Schlünde zu stürzen. Denn der Weg ist an manchen Stellen so schmal, daß er den Fußgängern und selbst den Saumtieren, denen er ungewohnt ist, Schwindel verursacht; die einheimischen jedoch tragen ihre Lasten sicher. Sowenig nun diese Übel abwendbar sind, um so weniger erst die ungeheuren von oben herabrollenden gefrorenen Schneelawinen, welche eine ganze Reisegesellschaft wegzureißen und in die hinablaufenden Schlünde mitzunehmen vermögen. Denn viele Schneeschichten liegen gefroren übereinander, dadurch daß vom eisartigen Schnee Schicht um Schicht sich häuft, und die oberen sich von den inneren stets leicht ablösen, ehe sie völlig im Sonnenschein schmelzen.
 

§ 7

    Die Salasser. Wege durch ihre Gebirge; reiche Goldminen. Räuberisches Betragen, Kriege, Bezwingung durch die Römer. Augusta

    Das Gebiet der Salasser liegt zwar größtenteils in einem tiefen Tal, in dem die Gebirge beiderseits die Landschaft einschließen, doch es erstreckt sich ein Teil auch auf die darüberliegenden Berghöhen. Den, der aus Italien diese Gebirge übersteigt, führt der Weg durch das erwähnte Tal. Hernach teilt er sich zwiefach: der eine, den Fuhrwerken nicht gangbare, führt über das sogenannte Poininon durch die Gipfel der Alpen, der andere durch die Kentronen ist westlicher.
    Das Land der Salasser hat Goldgruben, welche die ehedem mächtigen Salasser besaßen, wie sie auch die Herren der Zugänge waren. Vorzüglich aber war ihnen zur Gewinnung des Goldes der Fluß Durias behilflich durch die Goldwäschen. Deshalb verteilten sie das Wasser an vielen Orten in Ableitungsgräben und entleerten den gemeinschaftlichen Strom. So, wie nun dieses Verfahren jenen für die Gewinnung des Goldes nutzte, so verdroß es die andern, welche unterhalb jenen die Ebenen bebauend der Bewässerung entbehrten, zumal der Fluß, weil er ein höherliegendes Bett hat, das Land tränken konnte. Aus dieser Ursache entstanden zwischen beiden Völkern beständige Kriege. Nachher den Romanern unterworfen, verloren die Salasser ihre Goldwerke zusammen mit dem Land; jedoch noch immer im Besitz der Berge, verkauften sie das Wasser den die Goldgruben bearbeitenden Staatspächtern, woraus ihnen wegen der Habsucht der Staatspächter beständige Streitigkeiten auch mit diesen erwuchsen. So geschah es, daß die stets kampflustigen Romaner, welche in diese Gegenden geschickt wurden, häufigen Vorwand fanden, die Salasser anzugreifen.
    Dennoch haben sie bis auf die neuesten Zeiten bald bekriegt, bald den Krieg mit den Romanern beilegend, ihre Macht behauptet und den, der durch ihr Gebiet die Berge übersteigt, zufolge ihrer Räubersitte viel geschadet. Haben sie doch den von Mutine flüchtenden Decimus Brutus für jeden Mann mit einer Drachme Zoll belegt. Der in ihrer Nähe durchwinternde Messala aber zahlte ihnen den Preis des Holzes, sowohl des Brennholzes als der Ulmenbäume, zu Wurfspießen und Übungswaffen. Einmal sogar plünderten diese Menschen Cäsars Gelder und warfen Felsbrocken auf sein Heeresleute, mit der Begründung, daß sie Wege pflasterten oder Flüsse überbrückten. Nachher aber bezwang Augustus sie völlig, ließ alle nach Eporaidia bringen, der Pflanzstadt der Romaner, und als Beute verkaufen. Dieser Ort war angelegt zur Schutzwehr gegen die Salasser, aber die dort Angesiedelten vermochten nur wenigen Widerstand zu leisten, bis das Volk vernichtet war. Der übrigen Menschen wurden drei Myriaden und sechstausend aufgezählt, der streitbaren Männer achttausend. Diese alle ließ der Feldherr Terentius Varro, der sie bezwungen hatte, unter dem Spieß versteigern. Cäsar aber sandte dreitausend Romaner hin und gründete die Stadt Augusta an dem Ort, wo Varro gelagert hatte. Und so genießt jetzt die ganze Nachbargegend des Friedens, bis zu den höchsten Übergängen des Gebirges.
 

§ 8

    Östliche und südliche Alpenvölker, besonders Rhäter, Vindeliker und Noriker. Einfälle derselben in Italien und barbarische Grausamkeit

    Zunächst besetzen die Rhaiter und Vindeliker die östlichen und die gegen Süden gewandten Teile der Gebirge, welche die Heluettier und Boier berühren, an deren Ebenen sie liegen. Die Rhaiter zuvörderst reichen bis an Italien, oberhalb Veron und Komon, und der rhätische Wein, der Italiens beliebtesten Weinen nicht nachzustehen scheint, wächst an ihren Unterbergen. Sie erstrecken sich aber auch bis in die Gegenden, welche der Rhenos durchströmt, und zu diesem Volksstamm gehören auch die Lepontier und Kamuner. Die Vindeliker aber und Noriker besetzen die äußere Bergseite großenteils mit den Breunern und Genaunern, schon Illyrern. Alle diese Völker durchzogen stets die benachbarten Gegenden Italiens wie auch die Länder der Heluettier, Sekuaner, Boier und Germanen. Als die mutwilligsten der Vindeliker waren die Likattier, Klautinatier und Vennonen erprobt, unter den Rhaitern die Rhukantier und Kotuantier. Auch die Estionen gehören zu den Vindelikern und die Brigantier. Ihre Städte sind Brigantion und Kampodunon und Damasia, gleichsam die Burgstadt der Likattier. Von der Grausamkeit dieser Raubvölker gegen die Italioten erzählt man folgendes: Sooft sie einen Flecken oder eine Stadt erobern, morden sie nicht nur alle wehrhaften Männer, sondern überfallen auch die unmündigen Knaben; auch hiermit noch nicht befriedigt, töten sie sogar alle schwangeren Weiber, welche ihre Wahrsager als knabenschwanger bezeichnen.

§ 9

    Alpenvölker über dem Adrias (Noriker, Karner, Taurisker) und ihre Bezwingung durch die Römer. Natur des Landes, Flüsse und Gebirge

    Neben diesen, schon dem Adriatischen Winkel und den Gegenden um Akyleia nahe, wohnen einige Stämme der Noriker und die Karner; zu den Norikern gehören auch die Taurisker. Die ungezügelten Einfälle dieser Völker beendeten Tiberius und sein Bruder Drusus in einem Sommerzug, so daß es bereits das dreiunddreißigste Jahr ist, seit welchem sie, sich ruhig verhaltend, ihre Steuern entrichten. Durch das ganze Bergland der Alpen gibt es zwar auch hügelige, eines guten Feldbaues fähige Gegenden und trefflich angebaute Täler, aber der größte Teil und vorzüglich um die Gipfel, um welche denn auch die Räuber saßen, ist kümmerlich und unfruchtbar wegen des Schnees und der Rauhheit des Landes. Bei dem Mangel an Lebensmitteln und anderer Bedürfnisse schonten sie also zuweilen die Bewohner der Ebenen, damit sie Lieferer hätten; dagegen gaben sie dann Harz, Pech, Kienholz, Wachs, Honig und Käse, woran sie Überfluß hatten. Über den Karnern liegt das Gebirge Poininon mit einem See, welcher in den Fluß Atesines abläuft; dieser nimmt den Atagis auf, einen andern Fluß, und ergießt sich in den Adrias. Aus demselben See fließt noch ein anderer Fluß in den Istros, welcher Isaros heißt. Denn auch der Istros nimmt seinen Ursprung aus diesen vielzweigigen und vielgipfligen Gebirgen. Denn bis hierher von Ligystike ziehen sich die Höhen der Alpen zusamenhängend fort und gewähren das Bild eines einzigen Gebirges; hernach unterbrochen und abgeniedrigt erheben sie sich wieder zu mehren Zweigen und mehreren Gipfeln. Der erste derselben ist der jenseits des Rhenos und seines Sees gegen Morgen gezogene mäßig hohe Bergrücken, wo die Quellen des Istros sind neben den Soebern und dem Herkynischen Wald; andere wenden sich gegen Illyris und den Adrias, zu welchen das erwähnte Gebirge Poininon gehört und die Berge Tullon und Phlygadia, auch die über den Vindelikern liegenden Berge, aus welchen der Duras und Klanes und mehrere andere reißende Bergströme ins Bett des Istros sich ergießen.
 

§ 10

    Nachrichten von den Iapoden, dem Gebirge Okra, der Stadt Segestika und einigen Flüssen. Merkwürdige Alpentiere

    Auch die Iapoden, dieses schon aus Illyrern und Kelten gemischte Volk, wohnen in diesen Gegenden, und die Okra ist in ihrer Nähe. Die Iapoden zuvörderst, welche ehedem volkreich und, da sie an beiden Seiten des Gebirges ihr Wohnland besitzen, durch räuberisches Gebaren mächtig waren, sind von Cäsar Augustus bekämpft und völlig gedemütigt worden. Ihre Städte sind Metulon, Arupeinon, Monettion und Vendon. Hinter diesen liegt in einer Ebene die Stadt Segestike, neben welcher der in den Istros sich ergießende Fluß Saos hinströmt.
    Diese Stadt liegt bequem für den Krieg gegen die Daker. Die Okra aber ist der niedrigste Teil der Alpen, dort wo sie die Karner berühren. Durch sie führt man die Frachtwaren von Akyleia auf Wagen nach dem sogenannten Nauportos, einen Weg von nicht viel mehr als vierhundert Stadien. Von dort werden sie auf den Flüssen dem Istros und den umliegenden Gegenden zugeführt. Denn bei Nauportos fließt ein aus Illyris kommender schiffbarer Fluß vorbei, welcher in den Saos fällt, so daß die Frachtwaren nach Segestike und zu den Pannoniern und Tauriskern leicht hinabgeführt werden. Aber auch der Kolapis ergießt sich bei dieser Stadt in den Saos; beide sind schiffbar und fließen von den Alpen herab. Die Alpen enthalten auch wilde Pferde und Ochsen. Auch sagt Polybios, daß ein eigengestaltetes Tier in ihnen lebe, im Körperbau dem Hirsch ähnlich, bis auf den Hals und die Behaarung, worin es dem Eber gleiche; unter dem Kinn aber habe es einen etwa spannenlangen, am Ende behaarten Kernwulst in der Dicke eines Füllenschwanzes.
 

§ 11

    Wege über die Alpen nach Gallien. Landstraßen in Gallien selbst, von Lugdunum aus. Nebenweg über den Rhodanus und Iura ins innere Gallien

    Unter den Übergängen aus Italien in das jenseitige und das nördliche Keltike führt einer durch die Salasser nach Lugdunon. Er ist aber zwiefach. Der eine, welcher befahren werden kann, zieht sich mit größerer Lange durch die Kentronen, der andere, jäh und schmal, aber kürzer, durch das Poininon. Lugdunon aber liegt in der Mitte des Landes, einer Burgfeste vergleichbar, sowohl wegen der Vereinigung der Ströme als auch weil es allen Teilen des Landes nahe ist. Deshalb hat auch Agrippa von dort die Landstraßen gezogen, die eine durch die Kemmenischen Berge zu den Santonern und nach Akuitania, die zweite zum Rhenos, die dritte gegen den Ozean zu den Belloakern und Ambianern; die vierte geht nach Narbonitis und der massaliotischen Küste. Außerdem führt noch, läßt man Lugdunon und die überliegende Landschaft zur Linken, in Poininon selbst wieder ein Nebenweg, auf welchem man den Rhodanos oder den See Lemana überschreitet, in die Ebenen der Heluettier, von wo ein Übergang ist zu den Sekuanern durch das Gebirge Ioras und zu den Lingonen, in deren Gebiet die Doppelwege zu beiden, sowohl zum Rhenos als zum Ozean, sich scheiden.
 

§ 12

    Nachrichten aus Polybius über die reichen Goldminen bei Aquileja, über die Höhen der Alpen, über die Landstraßen und einige Landseen in ihnen

    Noch Polybios erzählt, daß zu seiner Zeit gerade über Akyleia bei den norischen Tauriskern eine so ergiebige Goldmine sich fand, daß, wenn man auf zwei Fuß die obere Erde abräumte, man sofort Gold antraf, welches man ausgraben konnte. Die Grube, sagt er, hielt nicht mehr denn fünfzehn Fuß; ein Teil des Goldes sei auf der Stelle rein, in der Größe einer Saubohne oder Wolfsbohne, wovon nur der achte Teil abschmelze; das übrige bedürfe zwar weiterer Schmelzung, bleibe aber äußerst gewinnreich. Als einmal Italioten zwei Monate mit den Ausländern zusammenarbeiteten, wurde das Gold bald um den dritten Teil wohlfeiler durch ganz Italien. Wie die Taurisker solches merkten, verjagten sie die Mitarbeiter und verkauften es allein. Jetzt aber stehen alle Goldgruben unter den Romanern. Auch hier, wie in Iberien, führen außer dem Grubengold auch die Flüsse Goldsand mit sich, jedoch nicht so viel.
    Ebendieser Mann, indem er von der Größe der Alpen und ihrer Höhe spricht, vergleicht mit ihnen die größten Berge bei den Hellenen, den Taygeton, Lykaion, Parnassos, Olympos, Pelion, Ossa, in Thrakien den Aimos, Rhodope und Dunax. Er sagt, daß jeden dieser Berge rasche Wanderer fast in einem Tag ersteigen, auch in einem Tage umgehen können. Die Alpen hingegen ersteige man nicht einmal in fünf Tagen, ihre Länge aber neben den Ebenen hin betrage zweitausendzweihundert Stadien. Ferner nennt er nur vier Übergänge: einen durch die Ligyer sehr nahe am Tyrrhenischen Meer, sodann jenen durch die Tauriner, auf welchem Annibas heranzog, den dritten durch die Salasser und durch die Rhaiter den vierten, alle jäh abschüssig. Landseen gibt es, sagt er, in den Gebirgen viele, aber auch drei große. Unter diesen hat der Benakos eine Länge von fünfhundert Stadien und eine Breite von hundertundfünfzig, und der Fluß Minkios entströmt ihm; sodann der Verbanos von vierhundert Stadien, an Breite schmaler als der vorige; er entläßt den Fluß Tikinos. Der dritte, der Larios, kommt in Länge nahe an dreihundert Stadien, in Breite an dreißig und entläßt den großen Fluß Adduas; alle strömen in den Pados. Soviel haben wir auch von den Alpinischen Gebirgen zu sagen.

Copyright © 2002, Manfred Hiebl. Alle Rechte vorbehalten.