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Gästebuch
Meier Helmbrecht
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Der
Meier
Helmbrecht
ist ein Ritterepos von einem gewissen fahrenden Sänger namens
Wernher der Gartenaere, dessen Schauplatz in der Nähe von
Burghausen an der Salzach zu suchen ist. Es handelt von einem
Bauernsohn, der nach Höherem strebt und sich entschließt,
es den Rittern gleichzutun und Raubritter zu werden. Dieses
Epos spiegelt den uralten Konflikt zwischen Vater und Sohn
wieder, den Gegensatz von Gut und Böse, und ist begleitet von der Harmonie
zwischen Schuld und Sühne. In der Verserzählung
ist es der Sohn, der für das Böse steht. Trotz eingehender
Ermahnungen will er nicht auf den Vater hören:
Der Sohn
antwortete: "Trink du nur Wasser, |
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bester
Vater, ich jedenfalls will Wein trinken. |
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Iß du nur
ruhig Grütze, |
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so will
ich das essen, |
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was dort
Brathuhn heißt; |
475 |
das laß
ich mir einfach nicht mehr verbieten! |
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Auch will
ich bis zu meinem Tode |
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nur noch
Brot aus hellem Weizenmehl essen; |
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zu dir
paßt Hafer. |
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Dagegen können die
Einwendungen des Vaters nicht bestehen, wenn dieser
insbesondere meint, daß Herkunft allein nichts zählt,
sondern daß es auf innere Werte ankommt:
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490 |
Und selbst
wer nicht so hochgeboren ist, |
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der würde
doch der Welt lieber sein |
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als ein
Mann aus königlichem Stamm, |
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der nichts
taugt und kein Ansehen besitzt. |
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495 |
Der Sohn jedoch will nicht
verstehen und tut das Gerede seines Vaters als Moralpredigt
ab:
Der Sohn
entgegnete: "Vater, von deiner Moralpredigt |
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möge Gott
mich rasch befreien! |
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Wenn du |
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ein
richtiger Prediger geworden wärst, |
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so
hättest du gewiß mit deiner Predigt |
565 |
ein ganzes
Heer zur Kreuzfahrt überredet! |
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Höre nun,
was ich dir jetzt sage: |
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Wenn die
Bauern viel Korn anbauen, |
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dann
fressen sie auch um so mehr. |
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Wie es mir
auch ergehen mag - |
570 |
ich bin
entschlossen, dem Pflug abzusagen. |
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Denn
sollten meine Hände |
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vom
Pflügen schwarz sein, |
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so müßte
ich mich, beim Allmächtigen, |
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ja
schämen, |
575 |
wenn ich
Damen die Hand zum Tanze reichte." |
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Er will ungeachtet seines
Standes hoch hinaus, und was er dem Vater entgegenhält, ist
ein Sittenspiegel seiner Zeit:
Heute
aber gilt der als gescheit, |
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der
zu lügen und zu betrügen versteht; |
975 |
so
einer ist auf der Burg hoch geachtet |
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und
hat leider |
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sehr
viel mehr Besitz und Ansehen |
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als
ein Mann, der rechtschaffen lebt |
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und
sich um Gottes Gnade müht. |
980 |
Es hat sich also bis auf
unsere Zeit nicht viel geändert seitdem:
Wer
zu lügen versteht, der ist obenauf, |
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und
zu betrügen gilt als vornehm. |
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Als
hoch anständig gilt, wer einem Menschen |
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mit
scheinheiligen Worten die Ehre abzuschneiden versteht, |
1010 |
und
wer hinterrücks verleumdet, |
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der
gilt heute als rechtschaffen. |
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Die Mittel und Wege, mit
denen der junge Helmbrecht sein Ziel allerdings zu erreichen
sucht, sind alles andere als handsam:
Die
Bauern im ganzen Umkreis |
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erleben
alles andere als Freude an mir. |
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Ihre
Kinder müssen sich |
1240 |
mit
Wasserbrei begnügen. |
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Ja,
ich tue ihnen noch viel Schlimmeres an: |
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Dem
drücke ich ein Auge aus; |
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diesen
hänge ich in den Rauchfang; |
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diesen
werfe ich gefesselt auf einen Ameisenhaufen; |
1245 |
jenem
ziehe ich mit einer Zange |
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die
Haare einzeln aus dem Bart; |
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einem
andern reiße ich die Kopfhaut herunter; |
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einem
dritten breche ich die Knochen; |
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diesen
hänge ich in einer Schlinge |
1250 |
an
den Fersen auf. |
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Was
die Bauern besitzen, das gehört alles mir. |
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Wo
zehn von uns reiten, |
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und
wenn zwanzig uns auflauerten, |
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selbst
wenn es noch mehr wären: |
1255 |
um
sie alle ist es geschehen! |
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Wie kann es nun sein, daß
der Sohn so ganz aus der Art geschlagen ist? Auch hierüber
ist Helmbrecht kaum um eine Antwort verlegen, indem er sogar
abstreitet, seines Vaters Sohn zu sein:
Jedenfalls:
Mein Vater ist er nicht! |
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Ich
will's dir unter vier Augen verraten: |
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Als
mich Mutter |
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fünfzehn
Wochen getragen hatte, |
1375 |
da
legte sich heimlich |
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ein
vornehmer Ritter zu ihr; |
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von
dem habe ich's geerbt |
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und
auch von meinem Paten |
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(beide
sollen dafür selig werden!), |
1380 |
daß
ich alle Tage meines Lebens |
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so
hochgemut gesinnt bin. |
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Düstere Vorahnungen
läuten nun sein Ende ein, welches kommen muß:
Jeder
Mensch schlingt sein Essen |
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gierig
hinunter, |
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wenn
der Tod vor der Tür steht. |
1570 |
Und so ereignete es sich
denn, daß Helmbrecht wie ein Strauchdieb und Wegelagerer
aufgeknüpft wurde:
Nicht
einmal ein Verteidiger wurde zugelassen. |
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Bei
Gott: Wer solchen Burschen das Leben verlängern möchte,
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1670 |
dem
möge Gott das seine verkürzen: |
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das
wünsche ich aus tiefstem Herzen! |
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Und die Moral von der
Geschicht'! "Schuster, bleib bei deinen Leisten!"
Was aber das Tragische an diesem Werk ist: Auch wenn es
durchaus verständlich erscheint, daß der Mensch mehr sein
will als ihm zusteht, so darf er sich dennoch nicht, um dies
zu erreichen, über geltendes Recht hinwegsetzen und sich,
wenn nicht im juristischen, so doch im moralischen Sinne
schuldig machen, indem er etwa falschen Vorbildern, die ihm
vorgegaukelt werden, blindlings nacheifert. Helmbrecht, der
der Logik und Vernunft ja durchaus zugänglich erscheint,
hätte erkennen müssen, daß ihm die Grundlage seines
Handels fehlte, daß es moralische Instanzen gibt, die
stärker sind als er und noch über ihm stehen, wie hoch er
auch immer hinaus wollte. Was er jedoch nicht wissen konnte,
war, daß ihn sein Vater in seinem Elend verstoßen und ihm,
dem Geblendeten, die väterliche Liebe gänzlich entziehen
und somit seinen Henkern ausliefern würde.
Aus Wernher der
Gärtner, Helmbrecht. Übersetzt aus dem
Mittelhochdeutschen ins Neuhochdeutsche von Fritz Tschirch
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