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An den ehrwürdigen Herrn Papst Urban

Seid gegrüßt von Bohemund, Graf Raimund von Saint-Gilles, Herzog Gottfried von Lothringen, Graf Robert von der Normandie, Graf Robert von Flandern und Graf Eustach von Boulogne, und wie es sich für Söhne einem geistigen Vater gegenüber geziemt: zu treuen Diensten und in wahrer Unterwerfung Christi.

    Wir wünschen und verlangen danach, daß Ihr Kunde erhaltet davon, daß Antiochien durch die große Gnade Gottes wie auch durch Seinen offenkundigen Beistand von uns eingenommen worden ist; daß die Türken, die unseren Herrn mit großer Schmach beladen hatten, gefangengenommen und getötet worden sind; daß wir, Pilger Jesu Christi, die nach Jerusalem ziehen, die Kränkung Gottes des Allmächtigen gerächt haben; daß wir, die die Türken zuerst belagerten, hernach von anderen Türken, die aus Khorasan, Jerusalem, Damaskus und vielen anderen Plätzen kamen, belagert wurden; und wie wir durch die Gnade Jesu Christi erlöst wurden.
    Nach der Einnahme von Nikäa überwanden wir, wie Ihr gehört habt, den großen Haufen von Türken, die uns an den Kalenden des Juli im Tal von Doryläum entgegentraten, und wiesen dem mächtigen Suleiman den Weg und beraubten ihn all seines Landes und seiner Besitzungen. Nachdem wir ganz Romanien gewonnen und unterworfen hatten, schritten wir zur Belagerung Antiochiens. Im Laufe seiner Bestürmung ertrugen wir viele Härten, insbesondere durch Angriffe benachbarter Türken und Heiden, die so oft und so zahlreich auf uns einstürmten, daß man von uns wahrhaftig sagen konnte, daß wir von denen belagert worden sind, die wir in Antiochien belagerten.
    Am Ende waren sämtliche Schlachten gewonnen und auf diese Weise der christliche Glaube durch die erfolgreiche Übergabe jener erhöht. Ich, Bohemund, traf mit einem gewissen Türken, der mir die Stadt auslieferte, eine Abmachung. Kurz vor Morgendämmerung, am dritten Tag vor den Nonen des Juni, ließ ich Leitern an der Mauer aufstellen, und somit nahmen wir die Stadt, die sich Christus widersetzt hatte, in Besitz. Wir erschlugen Cassianus, den Tyrannen der Stadt, und viele seiner Männer und behielten ihre Frauen, Kinder und Familien mitsamt ihrem Gold und Silber und all ihrer Habe für uns.
    Wir waren jedoch nicht in der Lage, Antiochiens Zitadelle einzunehmen, die zuvor von den Türken verstärkt worden war. Doch als wir soweit waren, sie am nächsten Tag zu bestürmen, sahen wir eine unermeßliche Menge von Türken durch das ganze Land ziehen. Viele Tage lang hatten wir erwartet gehabt, daß sie kommen würden, um sich mit uns, solange wir noch außerhalb der Stadt waren, zu messen. Am dritten Tag, nachdem wir die Stadt eingenommen hatten, umgaben sie uns mit erinem Belagerungsring, und mehr als hunderttausend von ihnen begaben sich in die obenerwähnte Zitadelle, in der Hoffnung, durch ihr Tor in den Stadtteil darunter einzudringen, den teilweise wir, teilweise sie besaßen.
    Doch wir, die wir auf einer anderen Anhöhe gegenüber der Zitadelle standen, sicherten den Pfad, der sich zwischen beiden Heeren befand und der in die Stadt hinabführte, so daß die Türken in ihrer großen Masse nicht durchbrechen konnten. Wir kämpften innerhalb und außerhalb der Mauern, Tag und Nacht, und zwangen unsere Feinde schließlich, durch das Burgtor, durch welches man in die Stadt hinabgelangt, in ihr Lager zurückzukehren.
    Als sie sahen, daß sie uns von dieser Seite aus nicht schaden konnten, umstellten sie uns von allen Seiten, so daß weder einer die Stadt verlassen noch betreten konnte. Über diese Entdeckung waren wir alle derart entmutigt und es war uns so elend zumute, daß viele von uns, die vor Hunger und anderen Übeln zu sterben drohten, unsere Pferde und Esel, die ebenfalls Hungers starben, schlachteten und verzehrten.
    Unterdessen fanden wir durch die gütigste Gnade des allmächtigen Gottes, der über uns wacht und uns beisteht, die Lanze des Herrn, mit welcher die Seite unseres Erlösers von Longinus durchbohrt wurde. Sie wurde einem gewissen Diener Gottes dreimal vom heiligen Apostel Andreas offenbart, welcher ihm die Stelle anwies, wo die Lanze in der Kirche des heiligen Petrus des Apostelfürsten verborgen lag. Nachdem uns durch diese Entdeckung und zahlreiche andere göttliche Offenbarungen Mut zugesprochen worden war, waren wir innerlich derartig gestärkt, daß wir, die wir zuvor niedergeschlagen und furchtsam gewesen waren, uns nun aufs tapferste und sogleich gegenseitig anfeuerten zu kämpfen.
    Dann kamen wir, nachdem wir drei Wochen und vier Tage lang belagert worden waren, nachdem wir alle unsere Sünden gebeichtet und uns Gott anvertraut hatten, am Festabend der Apostel Sankt Peter und Paul in Schlachtordnung vor die Stadttore. Wir waren so wenige, daß der Feind dachte, daß wir nicht ihn bekämpfen wollten, sondern fliehen würden.
    Als wir jedoch alle soweit waren und zu Fuß wie zu Pferd in gewohnter Ordnung aufgestellt waren, rückten wir mit der Lanze des Herrn tapfer gegen den Kern der größten Türkenmacht und -stärke vor und zwangen sie, aus ihrer vorgeschobenen Stellung zu weichen. Sie aber, weil es bei ihnen so der Brauch war, begannen sich nach allen Richtungen zu zerstreuen. Indem sie Hügel und Straßen besetzten, wo immer dies möglich war, gedachten sie uns einzukreisen. Auf die Weise hofften sie uns sämtlich zu erschlagen. Doch wir waren gegen ihre List und Tücke durch so manche Schlacht geschult. Die Gunst und Gnade Gottes leisteten uns Beistand, so daß wir, derer so wenige waren im Vergleich zu ihnen, sie auf einen Haufen zusammendrängten. Mit der strafenden Hand Gottes, der auf unserer Seite kämpfte, zwangen wir die so zusammengepferchten Türken dazu, zu fliehen und ihr Lager mit allem was darin war aufzugeben.
    Nachdem wir die Türken überwunden und sie einen ganzen Tag lang verfolgt und Tausende von ihnen getötet hatten, kehrten wir jubelnd und glücklich in die Stadt zurück. Daraufhin übergab ein gewisser Emir die vorhin erwähnte Zitadelle mit tausend darin befindlichen Menschen an Bohemund. Auf Geheiß Bohemunds überantwortete jener sie freudig alle auf einmal dem christlichen Glauben. Somit machte unser Herr Jesus Christus ganz Antiochien dem römischen Bekenntnis und Glauben untertan.
    Und weil auf dem Gipfel der Freude immer etwas Trauriges geschieht, starb an den Kalenden des August der Bischof von Le Puy, den Ihr uns als Euren Stellvertreter gesandt hattet. Dies geschah nach jener Schlacht, in welcher er eine rühmenswerte Rolle gespielt hatte und nachdem die Stadt befriedet worden war.
    Deshalb erbitten wir, Eure Kinder, des Vaters, der uns zugeteilt war, beraubt, von Euch, unserem geistlichen Vater, folgendes: Weil Ihr diese Pilgerfahrt ins Leben rieft und durch Eure Predigten uns sämtlich dazu veranlaßt habt, unsere Länder und alles was darin war zu verlassen, weil Ihr uns ermahnt habt, durch Aufnahme des Kreuzes Christus zu folgen, und weil Ihr uns dazu bewogen habt, den Namen Christi zu erhöhen, bitten wir Euch in Erfüllung dessen, was Ihr gepredigt habt, zu uns zu kommen und wen immer ihr könnt dazu zu bringen, mit Euch zu gehen. Denn hier war es, wo der Name Christ herstammt. Nachdem der heilige Petrus in jener Kirche, die wir täglich aufsuchen, inthronisiert wurde, wurden sie, die früher Galiläer hießen, hauptsächlich hier das erste Mal Christen genannt. Was auf dieser Welt würde sich daher mehr geziemen, als daß Ihr, der Ihr der Vater und das Haupt christlicher Frömmigkeit seid, in eigener Person zu der ersten und der Hauptstadt des christlichen Namens kommen und dem Krieg, der Eure ureigene Idee war, ein Ende bereiten würdet.
    Wir haben die Türken und die Heiden unterworfen, doch die Häretiker, Griechen und Armenier, Syrer und Jakobiter, konnten wir nicht überwinden. Daher bitten wir Euch, unseren liebsten Vater, immer wieder aufs neue, daß Ihr als Pastor und Führer an den Ort Eures Vorgängers kommt, daß Ihr, der Ihr Stellvertreter des heiligen Petrus seid, Euch auf seinen Thron setzt und Euch unser als Euren ergebenen Söhnen bedient, damit jedwedes zum Gelingen gereiche, und daß Ihr kraft Eurer Autorität und unsrer Stärke jegliche Häresie, gleich welcher Art, ausrottet und vernichtet. Und somit werdet Ihr mit uns die Pilgerfahrt Jesu Christi, die von uns übernommen und von Euch öffentlich ausgerufen wurde, beschließen; und Ihr werdet uns die Tore des einen und des andern Jerusalem öffnen und werdet das Grab des Herrn befreien und den christlichen Namen über alles stellen. Denn wenn Ihr zu uns kommt und die Pilgerfahrt, die von Euch eröffnet wurde, mit uns beendet, wird Euch die ganze Welt untertan sein. Möge Gott, der schaltet und waltet, jetzt und in alle Ewigkeit, Euch gestatten, dieses auszuführen. Amen.

Anmerkung: Dieser Brief wurde am 11. September 1098 von den Kreuzesfürsten vor Antiochien geschrieben und erweckt den Anschein, ein Bericht über die vorausliegenden Ereignisse an Papst Urban II. zu sein. In ihm werden die Griechen und andere orientalische Christen als Häretiker bezeichnet und Urban dazu genötigt, Antiochien zu seinem Sitz zu machen, von dem aus er die Kreuzfahrer auf ihrem Weg zum Heiligen Grab hätte weiterführen sollen. Wäre er der Einladung tatsächlich gefolgt, hätte dies unweigerlich zum Bruch in den freundschaftlichen Beziehungen mit den Christen des Ostens geführt, die mit dem Konzil von Clermont anzuknüpfen versucht worden waren. Der Brief scheint die Idee Bohemunds gewesen zu sein, dessen Name als erster unter den Fürsten erscheint und später noch einmal in der ersten Person. Er könnte von dem anonymen Autor der Gesta Francorum geschrieben worden sein, der Bohemund bewunderte, oder was noch wahrscheinlicher ist, von jemandem, dem die Gesta vertraut war. In ihr wird Bohemunds Plan, den Kreuzzug zu seinem Vorteil zu wenden, dadurch daß er mit den Byzantinern brach und Antiochien für sich selbst zu beanspruchen anfing, offenkundig. Was Urban über diesen seltsamen Brief gedacht haben mag, ist unbekannt; er starb, bevor er irgendeine Maßnahme ergreifen konnte.

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