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Stephan von Blois

Der Graf Stephan seiner sehr lieben und sehr liebenswerten Gattin, seinen Kindern und allen Vasallen seines Geschlechtes Heil und Segen.

Ihr könnt völlig gewiß sein, Vielliebe, daß der Bote, den ich sende, um Euch zu beruhigen, mich vor Antiochia wohlbehalten und durch Gottes Gnade in bestem Wohlergehen verlassen hat. Gegenwärtig sind es nun dreiundzwanzig Wochen, daß wir mit dem ganzen von Christus erwählten und von Ihm mit großer Tapferkeit begabten Heer ununterbrochen auf das Haus unseres Herrn Jesus vorgerückt sind. Ihr könnt es für sicher nehmen, meine Vielgeliebte, daß ich an Gold und anderen Reichtümern gegenwärtig zweimal soviel besitze, als was Eure Liebe mir mitgab, da ich Euch verließ, denn alle unsere Fürsten haben mich mit allgemeiner Zustimmung des Heeres und gegen meine eigenen Wünsche zum Oberhaupt, Kopf und Führer ihrer Unternehmung gemacht.

Ihr habt sicherlich erzählen hören, daß wir nach der Einnahme der Stadt Nizäa eine große Schlacht gegen die falschenTürken geschlagen und sie mit Gottes Hilfe besiegt haben. Dann haben wir für den Herrn ganz Romanien und danach Kappadozien erobert. Und wir haben erfahren, daß es einen gewissen türkischen Fürsten Assam gebe, der in Kappadozien wohne; wir haben also unsere Schritte zu ihm gelenkt. Alle seine Burgen sind mit Gewalt erobert worden, und ihn selbst haben wir gezwungen, nach einer anderen sehr starken Burg zu fliehen, die auf einem hohen Felsen liegt. Wir haben das Land dieses Assam einem unserer Führer gegeben, und damit er jenem die Stirn bieten könne, haben wir mehrere Soldaten Christi bei ihm gelassen. Von dort, beständig den verfluchten Türken nachrückend, haben wir sie zurückgedrängt bis gegen die Mitte Armeniens und an den großen Fluß Euphrat. Nachdem sie ihren Troß und ihre Saumtiere am Ufer zurückgelassen haben, sind sie über den Fluß geflohen nach Arabien.

Dennoch haben die kühnsten der türkischen Soldaten, die in Syrien eindrangen, sich in Gewaltmärschen Tag und Nacht sehr geeilt, um vor unserer Ankunft in die königliche Stadt Antiochia einziehen zu können. Als das Heer Gottes dies erfuhr, hat es dem allmächtigen Gott Dank und Lob gespendet. Mit großer Freude sind wir nach der Stadt Antiochia geeilt, haben sie belagert und dort sehr häufig Scharmützel mit den Türken gehabt, und siebenmal haben wir mit dem zähesten Mut gegen die Einwohner von Antiochia und die unzähligen Truppen, die ihnen zu Hilfe kamen, unter der Führung Christi gekämpft und in allen diesen sieben Schlachten mit Gottes Hilfe gesiegt und eine beträchtliche Anzahl Feinde getötet. Um die Wahrheit zu gestehen, sind in diesen selben Schlachten und bei den sehr häufigen Angriffen auf die Stadt viele unserer Brüder umgekommen und ihre Seelen zu den Freuden des Paradieses entführt worden...

Während des ganzen Winters haben wir vor dieser Stadt für Christus Unsern Herrn unter außerordentlicher Kälte und gewaltigen Regengüssen gelitten. Was gewisse Leute von der Sonnenhitze erzählen, die in Syrien zu ertragen unmöglich wäre, ist nicht wahr, denn der Winter ist hier völlig ähnlich unserem Winter im Abendland... Während am Ostertage mein Kaplan Alexander in großer Eile diesen Brief schrieb, hat ein Teil unserer Leute, der den Türken auflauerte, eine siegreiche Schlacht gegen sie geschlagen; sie haben sechzig Reiter gefangengenommen, getötet und deren Köpfe zum Heer gebracht.

Ich schreibe Euch, Vielliebe, nur wenig von all dem, was wir getan haben; und da ich nicht fähig bin, Euch alles zu erzählen, was ich im Sinn habe, empfehle ich Euch, Euch wohlzuverhalten, sorgfältig über meinen Ländereien zu wachen und Eure Pflicht zu tun, wie es sich gegenüber den Kindern und Vasallen gehört. Ihr werdet mich wiedersehen, sobald ich zu Euch zurückkehren kann. Lebt wohl.

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