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21. Mai 2007

Herr Oliver M. schrieb: Sehr geehrter Herr Hiebl,

Ihre höchst informative und ausgezeichnet recherchierte Homepage besuche ich oft und regelmäßig, und da ich mich sowohl für Burgen, die Kreuzzüge und das Mittelalter im Allgemeinen interessiere, ist Ihre Seite ein wahrer Hort des Wissens.

Ich bin gerade mitten im Examen und werde mich unter anderem über den Hundertjährigen Krieg, den Burgenbau und Albrecht von Johansdorf prüfen lassen. Momentan schreibe ich noch meine Examensarbeit, die die Auswirkungen des Ersten Kreuzzugs auf den Orient zum Thema hat und auch armenische Quellen beinhalten soll. Ich habe bemerkt, dass selbst die RHC nicht vollständig die Chronik Matthias' von Edessa erfasst, und bin auf eine Übersetzung bei Ihnen gestoßen. Gerne würde ich Kapitel CXCI aus dem dritten Teil zitieren (auch weil mein Schul-Französisch eine einzige Katastrophe ist), möchte aber zuvor Ihre Erlaubnis einholen, da ich mir vorstellen kann, dass viele Internetbesucher einfach Ihre harte Arbeit kopieren und als Eigenleistung verkaufen. Da ich Ihre Arbeit sehr schätze und auch weiterhin ein eifriger Student Ihrer Übersetzungen sein werde, halte ich es für unabdingbar, Sie in diesem Fall um Ihre freundliche Erlaubnis zu bitten. Ein Verweis auf Ihre Seite wäre in meiner Arbeit dann selbstverständlich als Referenz vorhanden.

Mit freundlichen Grüßen verbleibt Ihr

Oliver M.

Antwort: Sehr geehrter Herr M.,

für wissenschaftliche Zwecke dürfen Sie alles und jedes kopieren, was im Internet veröffentlicht ist, dafür brauchen Sie keine besondere Erlaubnis. Kritisch würde die Sache dann, wenn jemand herginge und meine Texte als »sein Buch« verkaufen würde, denn dann entstünde wirklich die Frage, wer sich hier die Arbeit gemacht hat. Die Gefahr der »Produktpiraterie« sehe ich auch wiederum nicht, da sich für das Mittelalter stets nur ein kleiner Interessentenkreis begeistern kann, was in Stückzahlen ausgedrückt nicht an die notwenige Mindestauflage für ein Buch herankäme. Mittelalterliche Chroniken würden, wie ich glaube, keinen ausreichenden Absatz auf dem Markt finden.

Wer kritiklos alles abschreibt, was im Internet herumgeistert und im übrigen völlig ohne Zensur ist (was Vor- und Nachteile birgt), riskiert durch das Abschreiben von Fehlern und Irrtümern anderer, auf die Nase zu fallen. Oder er baut, wenn er nicht die richtige Auswahl trifft, entlarvende Inkonsistenzen in seine Arbeit ein und stellt sich damit bloß. Wer zitiert, sollte sich automatisch dadurch absichern, daß er wortwörtlich übernommene Passagen nur in Anführungszeichen zitiert und deren Herkunft angibt, das wäre jedenfalls der wissenschaftlich korrekte und sichere Weg. Wer als Schüler abschreibt, arbeitet gewissermaßen noch nicht wissenschaftlich, er ist gerade dabei, es zu lernen. Wenn es möglich ist, daß ein Schüler, der sozusagen geistiges Eigentum anderer als sein eigenes darstellt, sich damit gute Noten sichert, so liegt das Problem beim Lehrer, der seinen Schüler aus mündlichen Prüfungen so gut kennen müßte, daß er in der Lage ist zu beurteilen, ob das Werk des Schülers auf eigener Leistung beruht oder das eines anderen ist.

Im Mittelalter wurde oft ohne jede Zitierung von anderen abgeschrieben, weil man damit dem Urheber eine besondere Ehre erweisen wollte, und niemand bestand darauf, zitiert zu werden. Das Mittelalter besaß andererseits aber auch jene Ehrlichkeit, daß niemand etwas als sein Werk ausgegeben hätte, was von einem anderen stammte, das ist eher typisch für die heutige Zeit, in der Neid und Unaufrichtigkeit bestimmend sind. Bei Ihnen bin ich mir aber sicher, daß Sie auf dem richtigen Weg sind.


Mit freundlichen Grüßen

Manfred Hiebl