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12. Februar 2007

Agnes aus der Türkei schrieb: Wieso kann man Alexanders inniges Verhältnis zu Hephaistion und Kleitos nicht als homosexuell deuten? Daß Alexander, geprägt von der Kultur der Antike, wo Homosexualität oder Liebe von Männern zu Jünglingen gang und gäbe war, nicht homosexuell war, kann ja dann nach Ihnen genauso wenig bewiesen werden wie die Idee davon, daß er solche Neigungen hatte. Ich kann nicht genau sagen, was nun im Plutarch für Indizien dafür oder dagegen sprechen, aber wenn nichts eindeutig das eine oder andere ausschließt, dann sollte man in einem historischen Film sowie in in einem historischen Roman doch die künstlerische Freiheit haben zu spekulieren, um das Geschehen interessanter oder fesselnder zu machen. Schließlich sind solche Filme doch auch eher zur Unterhaltung als zur Aufklärung gemacht. Ich glaube, nur ein Trottel, der sich wirklich für den historischen Alexander interessiert, würde sich mit den Informationen, die der Film vermittelt, zufrieden geben. Und Interesse für Nachforschungen kann der Film allemal wecken.

Antwort:  Hallo Agnes,

sicher kann man Alexanders Freundschaft zu Hephaistion und Kleitos so deuten, wenn man es möchte, wobei man sich natürlich darüber im klaren sein sollte, was man damit bezwecken will bzw. was man dadurch anrichtet. Das traditionelle Alexanderbild wird auf die Weise in den Schmutz gezogen, ohne daß man der Wahrheit damit einen Schritt näher kommt. Intelligenter wäre es gewesen, Alexander von diesem Makel zu befreien und ihm genau diesen Charakterzug nicht anzulasten. Das hätte eine bessere Übereinstimmung mit unserem Zeitgeist und unseren Wertevorstellungen ergeben, wo Homosexualität mit Verachtung gestraft oder zumindest zum Vorwurf gemacht wird. Unser gesellschaftliches Bild von einem Helden paßt so gar nicht zu dem fehlgeleiteten Verhalten eines Homophilen, denn der große Held ist zugleich auch der vollkommene Mann, dem die Frauen zu Füßen liegen. Der Homosexuelle wird eher in der Rolle des Weichlings und Feiglings gesehen, denn dieses Rollenverständnis schmeichelt ihm als dem Unmännlichen, dem Unvollkommenen, weitaus besser. Dadurch daß man ihn mit Lastern besudelt, entsteht ein groteskes Alexanderbild, welches mit der göttlichen Verehrung, die man ihm zollte, nicht in Einklang zu bringen ist. Besser wäre es gewesen, man hätte ihn in die Rolle des Frauenhelden gedrängt, das hätte seinem Ansehen jedenfalls nicht in der Weise geschadet, wie es hier im ungekehrten Fall geschehen ist. Alexander war ein ruhmsüchtiger ehrgeiziger Jüngling, der um eines hehren Zieles willen, nämlich die Welt zu erobern, sein persönliches Glück in den Hintergrund gestellt hat, nicht in die Rolle eines Ehemanns und Vaters gedrängt werden wollte, um sich nur dem einen hingeben zu können, wonach es ihn gelüstete, nämlich gleichgesetzt zu werden mit dem ruhmreichen Achilleus. Für viele, die aufrechte Bewunderer Alexanders waren und ihn als Begründer des größten Weltreichs verehrten, das es jemals gegeben hat, ist durch den Film eine Welt zusammengebrochen, denn dieser Alexander, der hier gezeigt wird, ist ekelerregend, und seine Leistungen erscheinen in diesem Zusammenhang ihrer Größe nicht angemessen. Worin in einem solchen Titelhelden das Faszinierende zu suchen ist, entzieht sich der Nachvollziehbarkeit, und unterhaltend können diesen Film ebenfalls nur diejenigen finden, die einen schlechten Geschmack haben. Ob die Darstellung tatsächlich von aufklärendem Wert ist, muß ernstlich bezweifelt werden. Es steht auch zu befürchten, daß der Film gerade das Gegenteil von dem bewirkt, was Sie meinen, daß er nämlich das Interesse an Alexander abwürgt, weil sich der Zuschauer am Ende der Vorstellung angewidert fühlt. Für den echten Historiker steht nicht a priori fest, ob Alexanders Biographen nicht von Generation zu Generation Dinge hinzugenommen oder verschwiegen haben, ob sie durch Wohlmeinendes oder Überwollendes, zu seinen Gunsten oder Lasten, die Geschichtsschreibung nicht verfälscht haben. Plutarch ist kein Berichterstatter der ersten Generation, auch er bezieht seine Informationen durch Informanten. Unter den Primärquellen, die mir bekannt sind, waren über Alexander jedenfalls keine diskreditierenden Äußerungen zu lesen, folglich können diese nur der Sicht des Römer entstammen, der bewußt seine besonders negativen Züge herausgearbeitet hat, die aus der allgemeinen, nicht vorurteilsfreien Tradition der Griechen überliefert sind. Abschließend möchte ich noch einige Sätze zur Homosexualität anfügen. Ich persönlich halte Homosexualität für eine angeborene Neigung, die nicht erlernt werden kann und die sich insbesondere nicht durch eine gesellschaftliche Tradition erzwingen läßt. Es würde mich wundern, wenn es im antiken Griechenland prozentual mehr Homosexuelle gegeben hat als es heute gibt. Der Anteil homosexueller Männer in der Gesellschaft ist stets sehr gering. Alexander war zudem verheiratet, er hatte einen Sohn gezeugt, der nach ihm König werden sollte, folglich müßte man ihn zumindest als Zweigeschlechtlichen betrachten. Drittens meine ich, daß die Knabenliebe nicht immer mit dem Sexuellen in Verbindung gebracht werden darf. Es kann nicht sein, daß es keine Liebe unter Männern gibt, die nicht mit sexuellen Hintergedanken belastet ist. Es gibt durchaus noch keusche Männerfreundschaften, die sogar soweit gehen können, daß Männer sich eine Frau teilen, ohne daß deswegen ein bisexuelles Verhältnis vorliegt. Man darf wahre Freundschaft nicht immer sogleich mit Wollust beschmutzen, und so könnte sich auch das Verhältnis zwischen Alexander und Hephaistion gestaltet haben. Ein inniges Verhältnis bedeutet nicht notwendig, daß die beiden sich auch intim geküßt haben müssen, und dennoch kann es möglich sein, daß der eine über den Tod des andern geweint hat, einfach, weil er seinen besten Freund verloren hat. Wer den Wert einer Freundschaft nicht kennt, kommt sehr schnell auf abwegige Gedanken, aber wohl hauptsächlich aus Neid oder bedingt durch die eigene Gefühlsarmut. Platon hat man die gleichen Neigungen nachgesagt wie Alexander, doch von ihm kennt man auch den Begriff der platonischen Liebe. Dies ist die Liebe des Lehrers zu seinem Schüler, an den er all sein Hab und Gut weitergibt, und dies um so lieber, je begabter dieser Schüler ist. Nur in den Kategorien der Eifersucht ist dahinter etwas Verdächtiges zu vermuten.

Mit freundlichen Grüßen

Manfred Hiebl


J. schrieb: Hallo!

Bin durch Zufall auf Deine Filmkritik über Gladiator gestoßen ... War mal sehr interessant, die geschichtlichen Grundlagen etwas genauer kennenzulernen. Weil der Film aber keine Dokumentation über Commodus war, sollte man dem Regisseur doch noch verzeihen, daß nicht alles detailgetreu von den Überlieferungen übernommen wurde. Wer hätte denn da durchgesehen? Dort eine Frau, da eine Geliebte usw. Ich denke, R. Scott hatte seine eigenenalexander.htm Vorstellungen von den Charakteren seines Films, und die hat er glänzend umgesetzt. Ich würde das nicht als historische Fälschungen bezeichnen, er hat den Film sicher nicht in der Absicht gedreht, um Geschichtsprofessoren in die Kinos zu locken. Auf meiner Eintrittskarte stand jedenfalls keine Garantieerklärung, daß Commodus auch wirklich so war, wie er dargestellt wird. Ach ja, daß Scott keinen blondgelockten Jüngling für die Rolle ausgewählt hat, sondern Joaquin Phoenix, kann ich nur als sehr positiv bewerten. Ich stimme Dir auf jeden Fall zu, daß der Film zweitweise etwas gefühlsduselig (Maximus und Lucilla --> ??) und langatmig ist, doch auch nach mindestens 10maligem Gucken ist es für mich der beste Film, den ich je in meinem Leben gesehen habe.

Mit freundlichen Grüßen

J.

Antwort: Hallo J.,

es ist etwas anderes, ein publikumswirksames Spektakel zu veranstalten, als ein authentisches, möglichst wirklichkeitsnahes Bild der Geschichte zu vermitteln. Bereits die Tragödie der Griechen verlangte, daß das Schauspiel den Menschen nicht nur verherrlichen und im Glück sich wiegend sehen darf, sondern ihn auch mit all seinen Schwächen und Erbärmlichkeiten zeigen muß. Auch wissen wir, daß eine Inszenierung sowohl dramaturgisch als schauspieltechnisch gar nicht anders gestaltet werden kann als den Empfindungen der Jetztzeit folgend. Auch dürfen Kosten- und Zeitrahmen nicht über Gebühr strapaziert werden. Wer wollte je Hannibals Schlacht bei Cannae mit 40000 originalgetreuen Soldaten und 40 Elefanten inszenieren und dabei nicht den teuersten Film der Welt riskieren. Was also das Künstlerische und den Gegebenheiten sich Fügende betrifft, so stimme ich Dir in allem zu, auch darin, daß der Film eine bestimmte Art von Geschmack trifft, ganz auf den Zeitgeist abgestimmt. Man kann einem jungen Menschen, der niemals selbst den Krieg mit all seinen Greueln kennengelernt hat, nicht das wahre Gesicht des Krieges zeigen, ohne ihn durch ein Zuviel an Brutalität abzuschrecken. Er will zwar Blut sehen, aber nur wohldosiert. Mehr ist ihm nicht zuträglich und nicht zuzumuten. Ihn stört es auch nicht, daß Schwarze die Rolle von Weißen spielen, da er es aus der Gegenwart nicht anders kennt. Er kennt nicht den Unterschied von Hoch und Niedrig, da er in eine Welt der Gleichheit hineingeboren ist. Der Mensch muß sich im Film selbst wiederfinden, er braucht die Identifikation getreu dem Prinzip: So hätte es auch mir ergehen können! Hierin ist auch der Grund zu suchen, warum Wagneropern nicht mehr in Originalkostümen aufgeführt werden, sondern in abstrusen Klamotten. Alles andere würde kitschig wirken. Wenn ein ausgesuchter Filmstar für die Darstellung eines bestimmten Charakters herangezogen wird, weil nur er diese Rolle den Erfordernissen entsprechend spielen kann und weil seine Qualitäten denen anderer vorzuziehen sind, so muß man ihm wahrlich nicht die Haare einfärben, nur damit er authentisch wirkt. Das ist es: Der eine hat das Buch vorher gelesen und ist empört, daß es nicht in allem eingehalten und befolgt wird, der andere sieht zuerst den Film und vermeidet es im nachhinein bewußt, etwas lesen zu müssen, was anders sein könnte, als er es auf der Leinwand erlebt hat. Immerhin verdanken wir dem 3D-Computer schon sehr viel, doch sind die Wände des Kollosseums noch zu glatt, die Farben zu homogen, die Abmessungen genauer als menschliche Fertigkeiten sie abreißen könnten; es ist wie Musik auf dem Synthesizer. Der Film ist trotz allem großartig - ich liebe Monumentalfilme -, doch auch Ben Hur, Kleopatra, Lawrence von Arabien und der Untergang des Römischen Reiches waren grandiose Filme. Zu gerne wäre ich selbst Filmregisseur geworden, denn Themen gäbe es genug, die zu verfilmen sich lohnt. Weil mir das aber nicht gegeben war, habe ich es gewagt, einen anderen zu besudeln, ihn anstatt mit Lob zu überhäufen mit Dreck zu bewerfen. So möchte ich es dennoch nicht versäumen, Dir gegenüber die Rollen der Hauptdarsteller gebührend zu würdigen, auch wenn dies nicht meine ursprüngliche Absicht gewesen ist. Doch allen, die Kritik üben, ist es wohl zueigen, daß sie eher bissig sind als wohlmeinend.

Mit freundlichen Grüßen

Manfred Hiebl