Die Atlantis-Sage
Aus Timaios
Dieser teilte uns nun eine Sage aus alter Überlieferung mit, welche du auch jetzt diesem Freunde berichten magst, Kritias, damit er mit uns prüfe, ob sie unserer Aufgabe angemessen sei oder nicht.
KRITIAS: Das muß ich wohl tun, wenn auch unser dritter Genosse, Timaios, derselben Meinung ist.
TIMAIOS: Gewiß bin ich es.
KRITIAS: So vernimm denn, Sokrates, eine gar seltsame, aber durchaus in der Wahrheit begründete Sage1, wie einst der weiseste unter den Sieben, Solon2, erklärte. Dieser war nämlich, wie er selbst häufig in seinen Gedichten sagt, unserem Urgroßvater Dropides sehr vertraut und befreundet; der aber erzählte wieder unserm Großvater Kritias, wie der alte Mann wiederum uns zu berichten pflegte, daß gar große und bewunderungswürdige Heldentaten unserer Vaterstadt aus früher Vergangenheit durch die Zeit und das Dahinsterben der Menschen in Vergessenheit geraten seien, vor allem aber eine, die größte, durch deren Erzählung wir dir wohl uns auf eine angemessene Weise dankbar zu bezeigen und zugleich die Göttin bei ihrem Feste nach Gebühr und Wahrheit wie durch einen Festgesang zu verherrlichen vermöchten.
SOKRATES: Wohl gesprochen! Welches ist denn aber die Heldentat, von welcher Kritias als von einer nicht bloß in einer Sage erhaltenen, sondern einst von unserer Vaterstadt wirklich, wie Solon vernommen hatte, vollbrachten erzählte?
KRITIAS: Ich will eine alte Sage berichten, die ich aus dem Munde eines eben nicht jungen Mannes vernahm; denn Kritias war damals, wie er sagte, fast an die Neunzig heran, und ich stand etwa im zehnten Jahre; es war aber gerade der Einzeichnungstag des Täuschungsfestes. Die für uns Knaben herkömmliche Festfeier fand auch diesmal statt; unsere Väter setzten uns nämlich Preise beim Vortragen von Gesängen aus. Da wurden nun viele Gedichte vieler Dichter hergesagt, und als etwas zu jener Zeit Neues sangen viele von uns Knaben auch die Gedichte Solons ab. Da sagte denn einer der Gemeindenachbarn, ob nun damals das seine Ansicht war oder ob er dem Kritias etwas Angenehmes sagen wollte: seinem Bedünken nach sei Solon nicht bloß im Übrigen der größte Weise, sondern auch unter allen Dichtern der großsinnigste gewesen. Den alten Mann, recht gut erinnere ich mich dessen, freute das höchlich, und lächelnd erwiderte er: Wenn er nur, Freund Amynandros, das Dichten nicht als Nebensache, sondern wie andere mit vollem Ernst betrieben und die Sage, die er aus Ägypten mit hierherbrachte, ausgeführt hätte, nicht aber durch Aufstände und anderes Ungehörige, was er bei seiner Rückkehr hier vorfand, das liegenzulassen genötigt worden wäre; dann hätte wohl, meiner Meinung nach, weder Hesiodos, noch Homeros noch sonst ein Dichter einen höheren Dichterruhm erlangt als er.
Was war denn das für eine Sage, Kritias? fragte er.
Gewiß die größte und mit
dem vollsten Rechte wohl vor allem gepriesenste Heldentat
betreffend, die zwar unsere Stadt vollbrachte, von der jedoch die
Kunde, wegen der Länge der Zeit und des Untergangs derer, die
sie vollführten, nicht bis zu uns gelangte.
Erzähle,
bat ihn der andere, von Anbeginn an, was und wie und von wem
hatte das als eine wahre Begebenheit Solon vernommen, was er
erzählte.
Es ist in
Ägypten, entgegnete er, im Delta, an dessen Spitze der Nil sich
spaltet, ein Gau, der der Saitische heißt und dessen größte
Stadt Sais ist, aus welcher auch der König Amasis stammte. Diese
Stadt hat eine Schutzgöttin, in ägyptischer Sprache Neith, in
hellenischer, wie jene sagen, Athene geheißen. Die Bewohner aber
sagen, sie seien große Athenerfreunde und mit den hiesigen
Bürgern gewissermaßen verwandt. Dorthin, erzählte Solon, sei
er gereist, habe da eine sehr ehrenvolle Aufnahme gefunden und,
als er die der Sache am meisten kundigen Priester über die alten
Zeiten befragt, erkannt, daß so ziemlich weder er noch sonst
einer der Hellenen von dergleichen Dingen das geringste wisse.
Einmal habe er aber, um sie zu Erzählungen von den alten Zeiten
zu veranlassen, von den ältesten Geschichten des hiesigen Landes
zu berichten begonnen, vom Phoroneus, den man den Ersten nennt
und von der Niobe, ferner nach der Wasserflut die Sage von
Deukalion und Pyrrha, wie sie glücklich durchkamen. Er habe ihre
Nachkommenschaft aufgezählt und, indem er der bei dem Erzählten
verstrichenen Jahre gedachte, die Zeitangaben festzustellen
versucht. Da habe ein hochbejahrter Priester gesagt: ach, Salon,
Solon! Ihr Hellenen bleibt doch immer Kinder, zum Greise aber
bringt es kein Hellene. - Wieso? Wie meinst du das? habe er, als
er das hörte, gefragt. - Jung in den Seelen, habe jener
erwidert, seid ihr alle: denn ihr hegt in ihnen keine alte, auf
altertümliche Erzählungen gegründete Meinung noch ein durch
die Zeit ergrautes Wissen. Davon liegt aber darin der Grund.
Viele und mannigfache Vernichtungen der Menschen haben
stattgefunden und werden stattfinden, die bedeutendsten durch
Feuer und Wasser, andere, geringere, durch tausend andere
Zufälle. Das wenigstens, was auch bei euch erzählt wird, daß
einst Phaethon, der Sohn des Helios, der seines Vaters Wagen
bestieg, die Oberfläche der Erde, weil er die Bahn des Vaters
einzuhalten unvermögend war, durch Feuer zerstörte, selbst
aber, vom Blitze getroffen, seinen Tod fand, das wird wie ein
Märchen berichtet; das Wahre daran beruht aber auf der
Abweichung der am Himmel um die Erde kreisenden Sterne und der
nach langen Zeiträumen stattfindenden Vernichtung des auf der
Erde Befindlichen durch mächtiges Feuer. Dann pflegen demnach
diejenigen, welche Berge und hoch und trocken gelegene Gegenden
bewohnen, eher als die an Flüssen und dem Meere Wohnenden
unterzugehen, uns aber rettet der auch sonst uns Heil bringende
Nil durch sein Übertreten aus solcher Not. Wenn dagegen die
Götter die Erde, um sie zu läutern, mit Wasser überschwemmen,
dann kommen die Rinder- und Schafhirten auf den Bergen davon, die
bei euch in den Städten Wohnenden dagegen werden von den
Strömen in das Meer fortgerissen. Hierzulande aber ergießt sich
weder dann noch bei andern Gelegenheiten Wasser von oben her
über die Fluren, sondern alles pflegt von Natur von unten herauf
sich zu erheben. Daher und aus diesen Gründen habe sich, sagt
man, das hier Aufbewahrte als das älteste erhalten; das Wahre
aber ist allerorten, wo es nicht eine übermäßige Kälte oder
Hitze verbietet, lebt eine bald größere, bald kleinere Zahl von
Menschen; was sich aber, sei es bei euch oder hier oder in andern
Gegenden, von denen uns Kunde ward, Schönes und Großes oder in
einer andern Beziehung Merkwürdiges begab, das alles ist von
alten Zeiten her hier in den Tempeln aufgezeichnet und
aufbewahrt. Bei euch und andern Völkern dagegen war man jedesmal
eben erst mit der Schrift und allem andern, dessen die Staaten
bedürfen, versehen, und dann brach, nach Ablauf der
gewöhnlichen Frist, wie eine Krankheit eine Flut vom Himmel
über sie herein und ließ von euch nur die der Schrift
Unkundigen und Ungebildeten zurück, so daß ihr vom Anbeginn
wiederum gewissermaßen zum Jugendalter zurückkehrt, ohne von
dem etwas zu wissen, was so hier wie bei euch zu alten Zeiten
sich begab. Was du daher eben von den alten Geschlechtern unter
euch erzähltest, o Solon, unterscheidet sich nur wenig von
Kindergeschichten, da ihr zuerst nur einer Überschwemmung, deren
vorher doch viele stattfanden, euch erinnert. So wißt ihr ferner
auch nicht, daß das unter Menschen schönste und trefflichste
Geschlecht in euerm Lande entsproß, dem du entstammst und euer
gesamter jetzt bestehender Staat, indem einst ein winziger Same
davon übrigblieb. Das blieb vielmehr euch verborgen, weil die am
Leben Erhaltenen viele Menschengeschlechter hindurch der Sprache
der Schrift ermangelten. Denn einst, o Solon, vor der größten
Verheerung durch Überschwemmung, war der Staat, der jetzt der
athenische heißt, der tapferste im Kriege und vor allen durch
eine gute gesetzliche Verfassung ausgezeichnet; er soll unter
allen unter der Sonne, von denen die Kunde zu uns gelangte, die
schönsten Taten vollbracht, die schönsten Staatseinrichtungen
getroffen haben. Mit Verwunderung habe Solon, erzählte er
selbst, das vernommen und inständigst die Priester gebeten, ihm
der Reihe nach genau alles seine Mitbürger aus alter Zeit
Betreffende zu berichten. Diesen Bericht, habe der Priester
gesagt, will ich dir nicht mißgönnen, Solon, sondern um deiner
selbst und deiner Vaterstadt willen dir ihn mitteilen,
vorzüglich aber der Göttin zuliebe, welcher euer Land und
dieses hier zum Lose fiel und die beide gedeihen ließ und
heranbildete, das eure um tausend Jahre früher, indem sie den
Samen eures Volkes vom Hephaistos und der Erde überkam, das
hiesige später. Die Zahl der Jahre aber seit der hier
bestehenden Einrichtung unseres Staates ist in der geweihten
Schrift auf achttausend Jahre angegeben. Von deinen vor
neuntausend Jahren lebenden Mitbürgern nun will ich dir ganz
kurz die Gesetze und die schönste Heldentat, die von ihnen
vollbracht ward, berichten; das Genauere über alles aber wollen
wir später der Reihe nach, indem wir die Schriften selber zur
Hand nehmen, erörtern. Auf ihre Gesetze mache einen Schluß von
den hier geltenden; denn viele den damals bei euch bestehenden
ähnliche wirst du jetzt hier vorfinden, zuerst den von den
übrigen getrennten Stand der Priester, dann den der Werkmeister,
deren jeder, von dem andern getrennt, sein eigenes Geschäft
betreibt, sowie den der Hirten und Jäger und Landwirte; auch den
Stand der Krieger, dem vom Gesetze der Auftrag ward, um weiter
nichts als um den Krieg sich zu kümmern, siehst du doch wohl
hier von jedem anderen geschieden. Ferner ist auch die Art der
Rüstung mit Schild und Speer dieselbe, deren wir unter den
Bewohnern Asiens zuerst uns bedienten, indem die Göttin sie uns,
wie euch in dortiger Gegend zuerst, lehrte. Was aber die
Verstandesbildung anbetrifft, siehst du wohl, welche Sorgfalt die
hiesige Gesetzgebung sogleich von Anbeginn an ihr widmete in
bezug sowohl auf die Weltordnung, indem sie alles insgesamt, bis
auf die Seher- und Heilkunst zur Gesundheit, aus diesen
göttlichen Dingen für die menschlichen Angelegenheiten
herleitete und auch in den Besitz aller andern damit verbundenen
Kenntnisse sich setzte. Insofern also die Göttin euch zuerst
diese gesamte Anordnung und Ausbildung verlieh, wies sie euch
auch euern Wohnsitz an und wählte die Stätte, der ihr
entsprossen seid, dazu aus, weil sie in der Jahreszeiten
günstigem Wechsel erkannte, daß sie die verständigsten
Bewohner erzeugen werde. Als dem Kriege und der Weisheit hold,
wählte die Göttin diejenige Stätte aus, die bestimmt war, die
ihr zunächst kommenden Menschen zu erzeugen, und gründete da
zuerst einen Staat. In diesem lebtet ihr also unter solchen
Gesetzen und einer noch vollkommeneren Verfassung, in jeder
Tugend vor alten Menschen ausgezeichnet, wie es sich von euch,
als Abkömmlingen und Zöglingen der Götter, erwarten ließ.
Demnach erregen viele und große von euch hier aufgezeichnete
Heldentaten eurer Vaterstadt Bewunderung, vor allem aber zeichnet
sich eine durch ihre Bedeutsamkeit und den dabei bewiesenen
Heldenmut aus; denn das Aufgezeichnete berichtet, eine wie große
Heeresmacht dereinst euer Staat überwältigte, welche von dem
Atlantischen Meere her übermütig gegen ganz Europa und Asien3 heranzog. Damals war nämlich dieses Meer
schiffbar; denn vor dem Eingange, der, wie ihr sagt, die Säulen
des Herakles heißt, befand sich eine Insel, größer als Asien
und Libyen zusammengenommen4, von welcher den damals Reisenden der Zugang
zu den übrigen Inseln, von diesen aber zu dem ganzen
gegenüberliegenden, an jenem wahren Meere gelegenen Festland
offenstand. Denn das innerhalb jenes Einganges, von dem wir
sprechen, Befindliche erscheint als ein Hafen mit einer engen
Einfahrt; jenes aber wäre wohl wirklich ein Meer, das es
umgebende Land aber mit dem vollsten Rechte ein Festland zu
nennen. Auf dieser Insel Atlantis vereinte sich auch eine große,
wundervolle Macht von Königen, welcher die ganze Insel gehorchte
sowie viele andere Inseln und Teile des Festlandes; außedem
herrschten sie auch innerhalb, hier in Libyen bis Ägypten, in
Europa aber bis Tyrrhenien. Diese in eins verbundene Gesamtmacht
unternahm es nun einmal, euer und unser Land und das gesamte
diesseits des Eingangs gelegene durch einen Heereszug zu
unterjochen. Da nun, o Solon, wurde das Kriegsheer eurer
Vaterstadt durch Tapferkeit und Mannhaftigkeit vor allen Menschen
offenbar. Denn indem sie durch Mut und die im Kriege anwendbaren
Kunstgriffe alle übertraf, geriet sie, teils an der Spitze der
Hellenen, teils, nach dem Abfalle der übrigen, notgedrungen auf
sich allein angewiesen, in die äußersten Gefahren, siegte aber
und errichtete Siegeszeichen über die Heranziehenden, hinderte
sie, die noch nicht Unterjochten zu unterjochen, uns übrigen
insgesamt aber, die wir innerhalb der Heraklessäulen wohnen,
gewährte sie großzügig die Befreiung. Indem aber in späterer
Zeit gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen eintraten, versank,
indem nur ein schlimmer Tag und eine schlimme Nacht5 hereinbrach, eure Heeresmacht insgesamt und
mit einem Male unter die Erde, und in gleicher Weise wurde auch
die Insel Atlantis durch Versinken6 in das Meer den Augen entzogen. Dadurch ist
auch das dortige Meer unbefahrbar7 und undurchforschbar geworden, weil der in
geringer Tiefe befindliche Schlamm, den die untergehende Insel
zurückließ, hinderlich wurde.
Was der
alte Kritias dem, was Solon gehört hatte, zufolge sagt, hast du,
Sokrates, in aller Kürze vernommen. Als du aber gestern vom
Staate und von dessen Bürgern, wie du sie darstelltest,
sprachst, bewunderte ich es, an das, was ich eben erzählte, mich
erinnernd, wie du zufällig, als ob ein Dämon aus dir spräche,
meistens nicht ungenau mit dem, was Solon sagte,
zusammenstimmtest. Doch wollte ich nicht sogleich das Wort
ergreifen, denn wegen der Länge der Zeit war jenes mir nicht zur
Genüge erinnerlich; so erkannte ich also, ich werde, bevor ich
rede, mir selbst alles hinreichend in das Gedächtnis
zurückrufen müssen. Daher sagte ich dir sogleich bereitwillig
zu, was du gestern begehrtest, in der Meinung, wir würden, was
bei solchen Aufgaben das Schwierigste ist, so ziemlich imstande
sein, unserer Unterhaltung eine deinen Wünschen entsprechende
Untersuchung zugrunde zu legen. Darum berichtete ich sogleich
gestern, wie unser Freund da erzählte, diesen meine
Erinnerungen; nach meiner Heimkehr aber wiederholte ich mir, so
ziemlich alles durchdenkend, in der Nacht das Ganze, da gewiß,
wie man zu sagen pflegt, das vom Knaben Erlernte in
bewundernswürdiger Weise im Gedächtnis haftet. Denn ich weiß
nicht, ob ich wohl imstande sein würde, alles, was ich gestern
hörte, im Gedächtnis wieder aufzuspüren; dagegen sollte es
mich sehr wundern, wenn mir etwas von dem, was ich vor sehr
langer Zeit genau hörte, entfallen wäre. Damals also vernahm
ich es unter großer Lust und Kurzweil, indem der Greis auf meine
oft wiederholten Fragen bereitwillig mich beschied, so es wie
eingebrannte Schrift unauslöschbar in mir haftet. Auch diesen
Freunden erzählte ich gleich am Morgen dasselbe, damit es ihnen
so wenig wie mir an Redestoff gebreche. Jetzt also, Sokrates,
siehst du mich bereit und deshalb führte ich alles eben Gesagte
an, es nicht bloß im allgemeinen, sondern jedes einzeln, wie ich
es vernahm, zu berichten. Wir wollen aber die Bürger und den
Staat, den du gestern als ein Erdichtetes uns darstelltest, jetzt
auf das wirklich Geschehene hier übertragen und annehmen, jener
sei derselbe mit diesem, und behaupten, die Bürger, wie du sie
dir dachtest, seien unsere wahrhaften Voreltern, von denen der
Priester erzählte. Sie werden durchaus mit diesen im Einklang
stehen und wir keinen Mißgriff tun, wenn wir sagen, daß sie die
zu jener Zeit Lebenden sind. Indem wir aber alle gemeinschaftlich
die Sache vornehmen, wollen wir nach Kräften versuchen, die uns
von dir gestellte Aufgabe auf eine angemessene Weise zu lösen.
Darum hast du, Sokrates, jetzt zu erwägen, ob diese Erzählung
nach deinem Sinne ist oder ob wir an ihrer Stelle noch eine
andere suchen müssen.
SOKRATES: Welche könnten wir wohl lieber vornehmen als diese, o Kritias, da sie ja wohl dem gegenwärtigen Opferfeste der Göttin ihrer Zugehörigkeit wegen am angemessensten ist; auch, daß es nicht eine erdichtete Sage, sondern eine wahrhafte Erzählung ist, ist etwas sehr Großes. Denn wie und woher sollten wir, wollten wir diese nicht berücksichtigen, andere auffinden? Das ist nicht möglich; sondern euch kommt es zu, getrost das Wort zu nehmen, mir aber, zum Entgelt meines gestrigen Berichtes, jetzt ruhig zuzuhören.
KRITIAS: Erwäge aber, Sokrates, die von uns festgestellte Aufeinanderfolge der dir bestimmten Gastgeschenke. Es schien uns nämlich angemessen, daß Timaios, als der Sternkundigste unter uns und derjenige, der es zur Hauptaufgabe seines Lebens machte, zur Kenntnis der Natur des Weltalls zu gelangen, zuerst rede und damit beginne, über die Entstehung der Welt zu sprechen, mit der Erzeugung des Menschen aber schließe. Nach ihm aber ich, nachdem ich von ihm die Menschen, seinen Vortrage zufolge, ins Dasein gerufen, von dir aber einige als in hohem Grade ausgebildet überkam, sie, der Erzählung und Gesetzgebung Solons gemäß, als Richter uns vorführe und, als seien es die Athener jener Zeit, zu Bürgern unseres Staates mache, von denen die in den heiligen Schriften niedergelegte Sage verkündet, sie seien von der Erde verschwunden, und von ihnen hinfort als unseren Bürgern und Athenern spreche.
SOKRATES: So soll mir, scheint es, in vollkommener und glänzender Weise mein Redeschmaus vergolten werden! Demnach dürfte es also nun wohl, wie es scheint, an dir, o Timaios, sein, das Wort zu nehmen, nachdem du, der Sitte gemäß, der Götter Beistand dir erflehtest.
Aus Kritias
Da sie selbst so
wacker waren und in solcher, so ziemlich sich gleichbleibenden
Weise gerecht ihr eigenes Vaterland und Hellas verwalteten,
erwarben sie sich durch körperliche Schönheit und die
allseitigen Vorzüge ihres Geistes durch ganz Europa und Asien
einen Ruf und waren unter allen damals Lebenden die
gepriesensten. Wie dagegen der Zustand der zum Kampfe gegen sie
auftretenden beschaffen war und wie er von Anbeginn an sich
gestaltete, das wollen wir euch jetzt, verlor sich uns nicht das,
was wir als Knaben hörten, in Vergessenheit, als ein den
Freunden zuständiges Gemeingut mitteilen. Doch eine Kleinigkeit
müssen wir noch unserer Erzählung vorausschicken, damit es euch
nicht etwa wundernehme, wenn Barbaren hellenische Namen führen;
sollt ihr doch den Grund davon vernehmen. Da nämlich Solon die
Absicht hatte, diese Erzählung bei seinen Dichtungen zu
benutzen, forschte er genau der Bedeutung der Eigennamen nach und
fand, daß jene Ägypter, welche zuerst sie aufzeichneten,
dieselben in ihre Sprache übertragen hatten; da nahm er selbst
den Sinn jedes Eigennamens wieder vor und schrieb sie, indem er
auf unsere Sprache sie zurückführte, nieder. Diese
Aufzeichnungen aber befanden sich in den Händen meines
Großvaters und befinden sich noch in den meinigen und wurden
schon in meinem Knabenalter von mir durchforscht. Demnach nehme
es euch nicht wunder, wenn ihr auch dort Eigennamen wie
hierzulande hört, wißt ihr doch nun den Grund davon. Folgendes
war der Eingang zu einer langen Erzählung.
Wie im Vorigen von
der von den Göttern angestellten Verlosung erzählt wurde, daß
sie unter sich die ganze Erde in bald größere, bald kleinere
Lose verteilten und sich Tempel erbauen und Opfer darbringen
ließen: so bevölkerte auch Poseidon, dem jene Insel Atlantis8 zum Lose fiel, dieselbe mit seinen eigenen
Nachkommen, die er mit einem sterblichen Weibe an einer
folgendergestalt beschaffenen Stelle der Insel erzeugte. An der
Seeküste, gegen die Mitte der ganzen Insel, lag eine Ebene, die
schöner und fruchtbarer als irgendeine gewesen sein soll. In der
Nähe dieser Ebene aber, wiederum nach der Mitte zu, befand sich,
vom Meer in einer Entfernung von etwa 50 Stadien, ein allerwärts
niedriger Berg; auf diesem wohnte ein Mann, namens Euenor, aus
der Zahl der anfänglich der Erde Entwachsenen, welcher die
Leukippe zur Frau hatte. Beide erzeugten eine einzige Tochter,
Kleito. Als das Mädchen bereits die Jahre der Mannbarkeit
erreicht hatte, starben ihr die Mutter und auch der Vater;
Poseidon aber, von Liebe zu ihr ergriffen, verband sich mit ihr
und machte den Hügel, den sie bewohnte, zu einem
wohlbefestigten, indem er ihn ringsum durch größere und
kleinere Gürtel abwechselnd von Wasser und Erde abgrenzte,
nämlich zwei von Erde und drei von Wasser, die er mitten aus der
Insel gleichsam herausdrechselte, überallhin gleich weit
voneinander entfernt, so daß der Hügel für Menschen
unzugänglich war, da es damals noch ebensowenig Schiffe wie
Schiffahrt gab. Er selbst verlieh, als ein Gott, ohne
Schwierigkeit der in der Mitte liegenden Insel fröhliches
Gedeihen, indem er zwei Flüsse aus der Erde heraufführte, deren
einer seiner Quelle warm, der andere kalt entquoll, und der Erde
Nahrungsmittel aller Art zur Genüge entsprießen ließ.
Ferner zeugte er
fünf männliche Zwillingspaare, ließ sie auferziehen und
verlieh, indem er die ganze Insel Atlantis in zehn Teile teilte,
dem zuerst Geborenen des ältesten Paares den Wohnsitz seiner
Mutter und den diesen rings umgebenden Anteil, als den größten
und vorzüglichsten, und machte ihn zum König der übrigen, die
übrigen aber zu Statthaltern; jedem derselben bestimmte er eine
Statthalterschaft mit zahlreichen Bewohnern und einem weiten
Gebiete. Allen gab er Namen, dem Ältesten und Könige aber
denjenigen, nach welchem auch die ganze Insel und das Meer
genannt wurde, welches deshalb das Atlantische9 hieß, weil damals der erste König den
Namen Atlas führte. Dessen nachgeborenen Zwillingsbruder, dem
das äußerste, nach den Säulen des Herakles10, dem Landstrich, der jetzt der Gadeirische
heißt, gelegene Stück der Insel zugefallen war, nannte er in
griechischer Sprache Eumelos, in der des Landes aber Gadeiros11, was dann jenem Gebiet die Benennung geben
konnte. Den einen der zweiten Zwillingsgeburt nannte er Ampheres,
den zweiten Euaimon; den erstgeborenen der dritten Mneseus, den
nach diesem geborenen Autochthon; den älteren der vierten
Elasippos, den jüngeren Mestor; dem Erstling der fünften wurde
der Name Azaes, dessen jüngerem Bruder der Name Diaprepes
beigelegt. Diese insgesamt nun sowie ihre Nachkommen beherrschten
viele Menschenalter hindurch noch viele andere im Atlantischen
Meere gelegene Inseln12 und dehnten auch, wie schon früher
berichtet wurde, ihre Herrschaft über die innerhalb der Säulen
des Herakles nach uns zu Wohnenden bis nach Ägypten und
Tyrrhenien hin aus.
Die Nachkommenschaft
des Atlas aber wuchs nicht bloß im übrigen an Zahl und Ansehen,
sondern behauptete auch die Königswürde viele Menschenalter
hindurch, indem der Älteste sie stets auf den Ältesten
übertrug, da sie eine solche Fülle des Reichtums erworben
hatten, wie weder vorher bei irgendeinem Herrschergeschlecht in
den Besitz von Königen gelangt war noch in Zukunft so leicht
gelangen dürfte, und da bei ihnen für alles gesorgt war, wofür
in bezug auf Stadt und Land zu sorgen not tut. Denn vermöge
ihrer Herrschaft floß von außen her ihnen vieles zu, das meiste
für den Lebensbedarf aber lieferte ihnen die Insel selbst.
Zuerst, was da an Starrem und Schmelzbarem durch den Bergbau13 gewonnen wird, und auch die jetzt nur dem
Namen nach bekannte Art - damals dagegen war mehr als ein Name
die an vielen Stellen der Insel aus der Erde gegrabene Gattung
des Bergerzes, welche unter den damals Lebenden, mit Ausnahme des
Goldes, am höchsten geschätzt wurde. Ferner brachte die Insel
auch alles in reicher Fülle hervor, was der Wald für die Werke
der Bauverständigen liefert, und an Tieren eine ausreichende
Menge wilder und zahmer. Und so war denn auch das Geschlecht der
Elefanten14 hier sehr zahlreich; bot sie doch ebenso den
übrigen Tieren insgesamt, was da in Seen, Sümpfen und Flüssen
lebt und was auf Bergen und in der Ebene haust, reichliche
Nahrung wie auch in gleicher Weise diesem von Natur größten und
gefräßigsten. Was ferner jetzt irgendwo die Erde an
Wohlgerüchen erzeugt, an Wurzeln, Gräsern, Holzarten und Blumen
oder Früchten entquellenden Säften, das erzeugte auch sie und
ließ es wohl gedeihen, sowie desgleichen die durch Pflege
gewonnenen Früchte; die Feldfrüchte, die uns zur Nahrung
dienen, und das, was wir außerdem - wir bezeichnen die Gattungen
desselben mit dem Namen der Hülsenfrüchte - zu unserem
Unterhalt benutzen; was Sträucher und Bäume an Speisen,
Getränken und Salben uns bieten, die uns zum Ergötzen und
Wohlgeschmack bestimmten, schwer aufzubewahrenden Baumfrüchte
und, was wir als Nachtisch dem Übersättigten, eine willkommene
Auffrischung des überfüllten Magens, vorsetzen; dieses alles
brachte die heilige, damals noh von der Sonne beschienene Insel
schön und wunderbar und in unbegrenztem Maße hervor. Da ihnen
nun ihr Land dieses alles bot, waren sie auf die Aufführung von
Tempeln und königlichen Palästen, von Häfen und Schiffswerften
sowie anderen Gebäuden im ganzen Lande bedacht und schmückten
es in solcher Aufeinanderfolge aus.
Zuerst
überbrückten sie die um den alten Hauptsitz laufenden Gürtel
des Meeres, um nach außen und nah der Königsburg einen Weg zu
schaffen. Diese Königsburg erbauten sie aber sogleich vom
Anbeginn in diesem Wohnsitze des Gottes und ihrer Ahnen; indem
aber der eine von dem andern dieselbe überkam, suchte er durch
jedesmalige Weiterausschmückung des Wohlausgeschmückten seinen
Vorgänger nach Kräften zu übertreffen, bis sie ihre Wohnung zu
einem durch Umfang und Schönheit Staunen erregenden Bau erhoben.
Denn vom Meere aus führten sie einen 300 Fuß breiten, 100 Fuß
tiefen und 50 Stadien langen Durchstich nach dem äußersten
Gürtel, durch, welchen sie der Einfahrt vom Meere nach ihm wie
nach einem Hafen den Weg bahnten, indem sie einen für das
Einlaufen der größten Schiffe ausreichenden Raum eröffneten.
Auch durch die
Erdgürtel, welche zwischen denen des Meeres hinliefen, führten
sie, an den Brücken hin, Durchstiche, breit genug, um einem
Dreiruderer die Durchfahrt von dem einen zu den anderen zu
gestatten, und überdachten dieselben, damit man unter der
Überdachung hindurchschiffen könne; denn die Erdgürtelränder
erhoben sich hoch genug über das Meer. Des größten Gürtels,
mit welchem das Meer durch den Graben verbunden war, Breite
betrug 3 Stadien; ebenso breit wie dieser war der folgende
Erdgürtel. Von den beiden nächsten hatte der flüssige eine
Breite von 2 Stadien, und der feste war wieder ebenso breit wie
der ihm vorausgehende flüssige. Ein Stadion breit war endlich
der um die in der Mitte liegende Insel selbst herumlaufende. Die
Insel aber, auf welcher die Königsburg sich erhob, hatte 5
Stadien im Durchmesser. Diese Insel sowie die Erdgürtel und die
100 Fuß breite Brücke umgaben sie von beiden Seiten mit einer
steinernen Mauer und errichteten auf den Brücken bei den
Durchgängen der See nach jeder Seite Türme und Tore. Die Steine
dazu aber - teils weiße, teils schwarze, teils auch rote -
wurden unter der in der Mitte liegenden Insel und unter der
Innen- und Außenseite der Gürtel gehauen und so beim Aushauen
zugleich doppelte Behälter für die Schiffe ausgehöhlt, die vom
Felsen selbst überdacht wurden. Zu den Bauten benutzten sie
teils Steine derselben Farbe, teils fügten sie zum Ergötzen, um
ein von Natur damit verbundenes Wohlgefallen zu erzeugen, ein
Mauerwerk aus verschiedenartigen zusammen. Den ganzen Umfang der
den äußersten Gürtel umgehenden Mauer versahen sie mit einem
Überzuge von Kupfer, übergossen den des inneren mit Zinn, den
um die Burg selbst aufgeführten aber mit wie Feuer glänzendem
Bergerz.
Der Königssitz
innerhalb der Burg war folgendergestalt auferbaut. Inmitten
desselben befand sich ein unzugängliches, der Kleito und dem
Poseidon geweihtes Heiligtum, mit einer goldenen Mauer umgeben,
ebenda, wo einst das Geschlecht der zehn Herrscher erzeugt und
geboten wurde. Dahin brachten sie jährlich aus den zehn
Landschaften jedem derselben die Früchte der Jahreszeit als
Opfer. Der Tempel des Poseidon selbst war ein Stadion lang, 500
Fuß breit und von einer entsprechenden Höhe, seine Bauart
fremdländisch. Von außen hatten sie den ganzen Tempel mit
Silber überzogen, mit Ausnahme der mit Gold überzogenen Zinnen.
Im Innern war die Wölbung von Elfenbein, mit Verzierung von Gold
und Silber und Bergerz; alles übrige, Wände, Säulen und
Fußboden, bedeckten sie mit Bergerz. Hier stellten sie goldene
Standbilder auf; den Gott stehend, als eines mit sechs
Flügelrossen bespannten Wagens Lenker, der vermöge seiner
Größe mit dem Haupt die Decke erreichte; um ihn herum auf
Delphinen hundert Nereiden, denn soviel, glaubte man damals,
gäbe es von ihnen. Auch viele andere, von Männern aus dem Volke
geweihte Standbilder befanden sich darinnen; außerhalb aber
umstanden den Tempel die goldenen Bildsäulen aller von den zehn
Königen Abstammenden und ihrer Frauen sowie viele andere große
Weihgeschenke der Könige und ihrer Bürger aus der Stadt selbst
und dem außerdem ihrer Herrschaft unterworfenen Lande. Auch der
Altar entsprach, seinem Umfange und seiner Ausführung nach,
dieser Pracht, und ebenso war der königliche Palast angemessen
der Größe des Reiches und angemessen der Ausschmückung der
Tempel. So benutzten sie auch die Quellen, die kalt und warm
strömenden, die einen reichen Zufluß an Wasser hatten und wovon
jede durch Annehmlichkeit und Güte des Wassers wundersam zum
Gebrauch geeignet war, indem sie dieselben mit Gebäuden und an
Wasser gedeihenden Baumpflanzungen umgaben sowie mit teils
unbedeckten, teils für die warmen Bäder im Winter überdeckten
Baderäumen, den königlichen abgesondert von denen des Volks
sowie denen der Frauen, geschieden von den Schwemmen der Pferde
und des anderen Zugviehs, diese alle mit einer der Bestimmung
eines jeden angemessenen Einrichtung. Von dem abfließenden
Wasser aber leiteten sie einen Teil nach dein Haine Poseidons, zu
Bäumen aller Art, vermöge der Trefflichkeit des Bodens von
überirdischer Schönheit und Höhe; den anderen aber, vermittels
neben den Brücken hinlaufender Kanäle, nach den Gürteln
außerhalb, wo vielen Göttern viele Tempel auferbaut waren,
außerdem viele Gärten und Übungsplätze für Menschen und
davon geschieden für Pferde, auf jeder der beiden Inseln; unter
anderem war mitten auf der größten Insel eine Rennbahn
abgegrenzt, deren Breite ein Stadion betrug und welche ihrer
Länge nach, zum Wettrennen der Pferde bestimmt, die ganze Insel
umkreiste. Zu beiden Seiten dieser Rennbahn befanden sich für
die Masse der Leibwächter bestimmte Wohnungen; die
zuverlässigeren aber waren auf dem kleineren, der Königsburg
näheren Gürtel als Wachtposten verteilt, und denjenigen, die
durch ihre Treue vor allen andern sich auszeichneten, Wohnungen
in der Burg um die der Könige selbst herum angewiesen. Die
Schiffswerten waren mit Kriegsschiffen und allem Zubehör eines
solchen Schiffes angefüllt, alles aber war vollkommen
ausgerüstet.
Solche Einrichtungen
waren im Urkreise des Königssitzes getroffen. Hatte man aber
nach außen die Häfen, deren drei waren, überschritten, dann
lief vom Meere aus eine Mauer rings herum, welche allerwärts vom
größten Hafen und Gürtel 50 Stadien entfernt war und welche
mit dem Eingang zum Durchstich ihren am Meere gelegenen Teil in
eins verband. Diesen ganzen Raum nahmen zahlreiche und dicht
gereihte Wohnhäuser ein; die Einfahrt und der größte Hafen
aber waren mit allerwärtsher kommenden Fahrzeugen und
Handelsleuten überfüllt, welche bei solcher Menge am Tag und in
der Nacht Geschrei, Lärm und Getümmel aller Art erhoben.
So ward also jetzt
so ziemlich das erzählt, was einstmals über die Stadt und die
Umgebung des ursprünglichen Wohnsitzes berichtet wurde. Aber wir
müssen auch zu berichten versuchen, wie die Natur und die Art
der Einrichtung des übrigen Landes beschaffen war. Erstens also
war, der Erzählung nach, die ganze Gegend vom Meere aus sehr
hoch und steil15, das die Stadt Umschließende dagegen
durchgängig eine ihrerseits von bis an das Meer herablaufenden
Bergen rings umschlossene Fläche und gleichmäßige Ebene,
durchaus mehr lang als breit, nach der einen Seite 3000 Stadien
lang, vom Meere landeinwärts aber in der Mitte deren 2000 breit.
Dieser Strich der ganzen Insel lief, nordwärts gegen den
Nordwind geschützt, nach Süden. Von den ihn umgebenden Bergen
wurde gerühmt, daß sie an Menge, Größe und Anmut alle jetzt
noch vorhandenen überträfen. Sie umfaßten viele reiche
Ortschaften der Umwohnenden sowie Flüsse, Seen, Wiesen zu
ausreichendem Futter für alles wilde und zahme Vieh, desgleichen
Waldungen, die durch ihren Umfang und der Gattungen
Verschiedenheit für die Vorhaben insgesamt und für jedes
einzelne vollkommen ausreichend waren.
Diese Ebene hatte
sich nun von Natur und durch die Bemühungen einer langen Reihe
von Königen in langer Zeit dermaßen gestaltet. Sie bildete ein
größtenteils rechtwinkliges und längliches Viereck; was aber
daran fehlte, war durch einen ringsherum aufgeworfenen Graben
ausgeglichen. Obgleich aber das, was von seiner Tiefe, Länge und
Breite erzählt wird, für ein Menschenwerk, mit anderen
mühsamen Schöpfungen verglichen, unglaublich klingt, muß
dennoch berichtet werden, was wir gehört haben. Der Graben war
nämlich bis zu einer Tiefe von 100 Fuß aufgeworfen, seine
Breite betrug allerwärts ein Stadion und, da er um die ganze
Ebene herumgeführt war, seine Länge 10.000 Stadien. Indem
derselbe aber, die Ebene umschließend, die von den Bergen
herabströmenden Flüsse in sich aufnahm und von beiden Seiten
der Stadt sich näherte, so ward ihm da der Ausfluß in das Meer
eröffnet. Von seinem weiter landeinwärts gelegenen Teil wurden
wieder gerade, gegen 100 Fuß breite Durchstiche durch die Ebene
nach dem dem Meere zuliegenden Graben geführt, deren einer von
dem andern 100 Stadien entfernt war. Auf diesem Wege brachten sie
zu Schiffe das Bauholz aus den Bergen nach der Stadt und andere
Erzeugnisse der Jahreszeiten, indem sie Durchfahrten von einem
Durchstiche zum anderen in schiefer Richtung sowie nach der Stadt
zu eröffneten.
Zwei Ernten brachte
ihnen jährlich der Boden, den im Winter der Regen des Zeus
befruchtete, während man im Sommer den Erzeugnissen desselben
von den Durchstichen aus Bewässerung zuführte.
Was die Streiterzahl
betraf, so war angeordnet, daß von den zum Kriege tauglichen
Bewohnern der Ebene jeder Bezirk, dessen Flächenraum sich auf 10
mal 10 Stadien belief und deren überhaupt 60000 waren, einen
Feldhauptmann stelle; die Anzahl der von den Bergen und
anderweitigen Landstrichen her kommenden wurde als unermeßlich
angegeben, und alle insgesamt waren, ihren Wohnorten und deren
Lage nach, diesen Bezirken und Feldhauptleuten zugeteilt. Jeder
Feldhauptmann mußte nach Vorschrift in das Feld stellen: zu
l0000 Streitwagen16 den sechsten Teil eines
Streitwagens, zwei berittene Streiter, ferner ein Zwiegespann
ohne Wagenstuhl, welches einen leichtbeschildeten Streiter und
nächst ihm den Lenker der beiden Pferde trug; zwei
Schwergerüstete, an Bogenschützen und Schleuderern zwei jeder
Gattung, so auch an Leichtgerüsteten, nämlich Steinwerfern und
Speerschleuderern, von jeder drei; endlich vier Seesoldaten zur
Bemannung von 1200 Schiffen. So war die Kriegsrüstung für den
Herrschersitz des Königs angeordnet, für die neun übrigen
anderes anders, was anzugeben zu viel Zeit erheischen würde.
In Beziehung auf
Herrsch- und Strafgewalt waren von Anbeginn an folgende
Einrichtungen getroffen. Jeder einzelne der zehn Könige übte in
seiner Stadt Gewalt über die Bewohner seines Gebietes und über
die meisten Gesetze; er bestrafte und ließ hinrichten, wen er
wollte. Aber die untereinander geübte Herrschaft und ihren
Wechselverkehr bestimmte Poseidons Gebot, wie das Gesetz es ihnen
überlieferte und eine Schrift, von den ersten Königen
aufgezeichnet auf einer Säule17
von Bergerz, welche in der Mitte der Insel im Tempel Poseidons
sich befand, wo sie sich das eine Mal im fünften, das andere im
sechsten Jahre, um der geraden und ungeraden Zahl gleiche Ehre zu
erweisen, versammelten. Bei diesen Zusammenkünften berieten sie
sich über gemeinsame Angelegenheiten, untersuchten, ob jemand
einem Gesetze zuwiderhandle, und fällten sein Urteil. Waren sie
im Begriff, Urteile zu fällen, dann verpflichteten sie sich
zuvor gegeneinander in folgender Weise. Nachdem die zehn Könige
alle Begleitung entlassen hatten, jagten sie den im Weihbezirk
Poseidons freigelassenen Stieren mit Knüppeln und Schlingen,
ohne eine Eisenwaffe18, nach, den Gott anflehend, sie
das ihm wohlgefällige Opfer einfangen zu lassen; den
eingefangenen Stier aber führten sie zur Säule und opferten ihn
über jener Schrift auf dem Knaufe derselben. Auf der Säule aber
befand sich außer den Gesetzen eine Eidesformel, die schwere
Verwünschungen über die ihnen den Gehorsam Verweigernden
herabrief. Wen sie nun, nachdem sie ihren Vorschriften gemäß
das Opfertier geschlachtet, die Weihung aller Glieder des Stiers
vornahmen, dann füllten sie einen Mischkrug und schleuderten
für jeden ein Klümpchen Blutes hinein, das übrige aber trugen
sie, nachdem sie ringsum die Säule reinigten, in das Feuer.
Darauf schöpften sie mit goldenen Trinkschalen aus dem
Mischkruge, gossen ihr Trankopfer in das Feuer und schworen
dabei, ihre Urteile den auf der Säule aufgezeichneten Gesetzen
gemäß zu fällen und, wenn jemand in etwas dieselben
übertreten habe, ihn zu bestrafen, in Zukunft aber in keinem
Punkte das Aufgezeichnete zu übertreten sowie weder einen den
Geboten des Vaters zuwiderlaufenden Befehl zu geben noch einem
solchen zu gehorchen. Nachdem jeder von ihnen feierlich dieses
Gelübde für sich selbst und seine Nachkommen getan, getrunken
und die Schale in dem Tempel des Gottes geweiht hatte, sorgte er
für seine Abendmahlzeit und anderer Bedürfnisse Befriedigung.
Wurde es nun finster und war das Opferfeuer niedergebrannt, dann
legten alle ein sehr schönes dunkelblaues Gewand an, ließen
sich an der Brandstätte des beim Eidschwur dargebrachten Opfers
nieder und empfingen während der Nacht, nachdem sie alle Feuer
um den Tempel herum ausgelöscht, wenn etwa einer den andern
einer Gesetzesübertretung beschuldigte, Urteilssprüche und
fällten sie. Diese von ihnen gefällten Urteilssprüche
verzeichneten sie, sobald der Tag anbrach, auf einer goldenen
Tafel und weihten diese mitsamt ihren Gewändern zur Erinnerung.
Über die
Ehrenrechte der einzelnen Könige gab es manche besonderen
Gesetze, das wichtigste aber war, keiner solle gegen den andern
die Waffen erheben und alle Beistand leisten, wollte etwa jemand
unter ihnen versuchen, in irgendeinem Staate dem Königshause den
Untergang zu bereiten, gemeinsam aber, wie ihre Vorgänger,
sollten sie sich beraten über Krieg oder andere Unternehmungen
und dabei dem atlantischen Geschlechte den Vorrang einräumen.
Jedoch einen seiner Anverwandten zum Tode zu verurteilen, das
sollte, ohne Zustimmung des größeren Teils der Zehn, in keines
Königs Gewalt stehen.
Die damals in jenen
Gegenden in solchem Umfange und so geübte Herrschgewalt stellte
nun der Gott gegen unsere Lande, durch Folgendes, wie erzählt
wird, dazu veranlaßt. Viele Menschenalter hindurch, solange noch
die göttliche Abkunft bei ihnen vorhielt, waren sie den Gesetzen
gehorsam und freundlich gegen das verwandte Göttliche gesinnt;
denn ihre Gedanken waren wahr und durchaus großherzig, indem sie
bei allen sie betreffenden Begegnissen sowie gegeneinander
Weisheit mit Milde gepaart bewiesen. So setzten sie auf jeden
Besitz, den der Tugend ausgenommen, geringen Wert und ertrugen
leicht, jedoch als eine Bürde die Fülle des Goldes und des
anderen Besitztums. Üppigkeit berauschte sie nicht, noch entzog
ihnen ihr Reichtum die Herrschaft über sich selbst oder
verleitete sie zu Fehltritten; vielmehr erkannten sie nüchtern
und scharfen Blicks, daß selbst diese Güter insgesamt nur durch
gegenseitige mit Tugend verbundene Liebe gedeihen, daß aber
durch das eifrige Streben nach ihnen und ihre Wertschätzung
diese selbst sowie jene mit ihnen zugrunde gehe.
Bei solchen
Grundsätzen also und solange noch die göttliche Natur vorhielt,
befand sich bei ihnen alles früher Geschilderte im Wachstum; als
aber der von dem Gotte herrührende Bestandteil ihres Wesens,
häufig mit häufigen sterblichen Gebrechen versetzt,
verkümmerte und das menschliche Gepräge die Oberhand gewann: da
vermochten sie bereits nicht mehr ihr Glück zu ertragen, sondern
entarteten und erschienen, indem sie des schönsten unter allem
Wertvollen sich entäußerten, dem, der dies zu durchschauen
vermochte, in schmachvoller Gestalt; dagegen hielten sie die des
Lebens wahres Glück zu erkennen Unvermögenden gerade damals
für hochherrlich und vielbeglückt, wo sie des Vollgenusses der
Vorteile der Ungerechtigkeit und Machtvollkommenheit sich
erfreuten.
Aber Zeus, der nach
Gesetzen waltende Gott der Götter, erkannte, solches zu
durchschauen vermögend, daß ein wackeres Geschlecht
beklagenswerten Sinnes sei, und versammelte, in der Absicht, sie
dafür büßen19 zu lassen, damit sie, zur Besonnenheit
gebracht, verständiger würden, die Götter insgesamt an dem
unter ihnen vor allem in Ehren gehaltenen Wohnsitze, welcher im
Mittelpunkt des gesamten Weltganzen sich erhebt und alles des
Entstehens Teilhaftige zu überschauen vermag, und sprach zu
ihnen: ...
1An dieser Stelle des Dialogs
Timaios ist nun zum ersten Mal von der Atlantiserzählung als
einer auf einer wahren Begebenheit beruhenden Sage die Rede.
Dieser Wahrheitsanpruch und die große Autorität Platons waren
es, die Generationen von Archäologen immer aufs neue Gründe
lieferten, so wie Heinrich Schliemann nach Troja nach dem bislang
nicht aufgefundenen Atlantis zu forschen. Zahlreiche Theorien
wurden dazu aufgestellt, die jedoch alle im Widerspruch stehen zu
dem, was im Originaltext wirklich ausgesagt ist.
2Solon, geb. um 640 v. Chr. in Athen,
gest. um 560 v. Chr., war Dichter und Staatsmann. Er wurde 594
zum Archon gewählt und gab Athen eine Verfassung. Solon zählt
zu den Sieben Weisen, und ihm werden Aussprüche wie
"Erkenne dich selbst" und "Nichts im
Übermaß" zugeschrieben.
3Hier scheint eine Erinnerung an die
sogenannten "Seevölker" wachgerufen zu werden.
Allerdings datiert deren Auftreten in eine wesentlich jüngere
Epoche der Geschichte. Wie die Atlantiden, so sind auch die
Seevölker spurlos aus der Geschichte verschwunden, nachdem sie
in Asien, genauer gesagt, der schmalen Landbrücke zwischen
Kleinasien und Ägypten, eingefallen waren und sich das Land
Kanaan unterworfen hatten. In der Tat wurden sie von den
ägyptischen Pharaonen zurückgeschlagen, und damit nimmt es
nicht wunder, daß der Einflußbereich der Atlantiden "bis
an die Grenzen Ägyptens" reichend beschrieben wird. Auf
jeden Fall kamen die Seevölker aus dem Westen, und sie waren der
Seefahrt mächtig. Eine derart hohe Kulturstufe, wie von Platon
beschrieben, zu Ausgang der letzten Eiszeit wäre
unwahrscheinlich, so daß der ganze Atlantismythos in der
Erinnerung der Menschen Wahres mit Erdichtetem verquickt.
4Die von Platon angegebene Größe der
Insel wurde früher vielfach so interpretiert, als habe es
zwischen Europa und Afrika einerseits und zwischen Nord- und
Südamerika andererseits einen "versunkenen Kontinent"
gegeben. Ein Blick auf die Landkarte indes genügt, um
festzustellen, daß sich Europa und Asien mit Nord- und
Südamerika "lückenlos" aneinanderfügen, und nachdem
die Kontinente vor Beginn der Wegenerschen Kontinentaldrift eine
einheitliche Landmasse bildeten, ehe sie auseinanderbrachen,
bliebe kein Platz übrig, um einen ganzen Kontinent
unterzubringen. Zudem hat man unter Libyen und Asien nicht das zu
verstehen, was man heute darunter versteht. Einmal galt für
Libyen nur der nördliche Küstenstrich Afrikas am Mittelmeer bis
Ägypten hin, denn viel weiter, als bis über die Säulen des
Herakles hinaus, war der antiken Welt die Erde nicht bekannt, und
zum anderen wurden die Wüsten und Regenwaldgebiete Afrikas zu
Äthiopien, also Schwarzafrika, gezählt (siehe dazu Hannos
Fahrtenbericht). Des weiteren bezeichnete man als Asien damals
nicht Gebiete einschließlich China und Sibirien, die heutzutage
dazuzählen, sondern Asien war eher der Nahe und allenfalls
Mittlere Osten, so daß sich der "Kontinent" Atlantis
hinsichtlich seiner Größe etwas relativiert, aber insgesamt
für eine Insel immer noch recht groß gewesen sein dürfte.
Gleichwie, auch eine große Insel hätte keinen Platz gehabt
zwischen den Kontinenten, es sei denn, sie wäre erdgeschichtlich
erst nachträglich aus ozeanischer Kruste gebildet worden, und so
muß es wohl gewesen sein.
5An dieser Stelle wird das berühmte
Zitat aus der Atlantissage gebraucht, daß nämlich die Insel an
einem Tage und einer Nacht im Meer versunken sei. Gleichwohl wird
auch der Grund hierfür genannt, nämlich als Folge von
gewaltigen Erdbeben und Überschwemmmungen. Ob und wie nun
Überschwemmungen zu einem Versinken im Meer führen, sei einmal
dahingestellt; mit Sicherheit aber wird Atlantis nur dort zu
suchen sein, wo Erdbebengebiete liegen, und diese sind nun einmal
entweder an den Abrißkanten auseinandertriftender Kontinente zu
suchen, dort also, wo die Erde tektonisch instabil ist, oder an
Aufbrüchen ozanischer Kruste, den sogenannten Hot Spots im
Atlantik, wie auf Island beispielsweise, das gänzlich
"zwischen" den Kontinenten liegt. Daß der
Meeresspiegel in 24 Stunden um mehrere Meter gestiegen sein soll,
ist freilich ins Reich der Fabel zu verweisen. Was indes ein
Erdbeben anzurichten vermag, kennen wir beinahe vierteljährlich
aus Bildern in den Medien.
6Ein Versinken kann einmal
interpretiert werden durch ein Auseinandertriften von Schollen,
beispielhaft etwa für die Grabenbruchgebiete am Toten Meer, wo
ebenso Städte (Sodom und Gomorrha) versunken sind, wie die Bibel
berichtet, oder als ein Ansteigen des Meerespiegels, was indirekt
auch einem Untergehen gleichkommt. Es ist bekannt, daß das Ende
der letzten Eiszeit etwa zehntausend Jahre zurückliegt, also
aufallend genau mit dem in den Aufzeichnungen angegebenen
Zeitraum zusammenfällt, denn auf unsere Zeit bezogen, die wir
2000 Jahre und mehr nach Platon leben, liegt der genannte
Zeitraum 10000 - 11000 Jahre zurück.
7Hier zieht Platon unwillkürlich die
Schlußfolgerung, daß ausschließlich die später beschriebene
ausgedehnte Ebene, auf der sich die Stadtanlage von Atlantis
befand, überschwemmt wurde, und diese befand sich, wie wir
später sehen werden, auf Meeresniveau. Es wäre ja wohl ein
völliger Widerspruch zu glauben, daß, wenn eine Insel, auf der
sich die höchsten damals bekannten Berge (Vulkane?) befanden, um
mehrere tausend Meter im Meer versunken ist, dieses Meer dadurch
unbefahrbar geworden sein soll, wo doch bekanntlich Inseln nichts
anderes sind als die Bergpitzen aus dem Wasser herausragender
Landmassen. Riesige Schlammassen, so wird berichtet, können sich
nur ergeben haben, wenn eine Überflutung großer Landstriche um
wenige Meter stattgefunden hat, denn der Tiefgang der damaligen
Schiffe war sicherlich nicht besonders groß. Folgt man hingegen
jener Schlußfolgerung, so existiert Atlantis, etwas kleiner
vielleicht als damals,in Form einer oder mehrerer benachbarten
Inseln noch heute und ist keinesfalls, wie uns dies suggeriert
wird, völlig untergegangen. Dies alles paßt wunderbar mit dem
Ansteigen des Meeresspiegel am Ausgang der letzten Eiszeit
zusammen. Daß der Meeresspiegel jedoch nicht so schnell
gestiegen sein konnte, daß dies alles an einem Tag und in einer
Nacht passiert sei, daran mag unterstützend ein Dämme
brechendes Erdbeben mitgewirkt haben. Wahrscheinlich war
Atlantis, in einer vulkanischen Region gelegen, schon seit jeher
durch Feuer und Wasser bedroht gewesen.
8An dieser Stelle berichtet Platon
über die Herkunft der Atlantiden, welche, ins Mythologische
zurückreichend, ihren Ursprung von den Göttern ableiten.
9Sicherlich wurde Atlantis nicht dehalb
so benannt, weil es im Atlantischen Ozean gelegen war, sondern
der Atlantische Ozean erhielt diesen Namen erst nach diesem
Mythos. Ebenso bekam der Atlasgebirge in Marokko seinen Namen
ebenfalls erst, als der Mythos bereits geboren war.
10Unter den Säulen des Herakles
versteht man die Straße von Gibraltar.
11Gadeiros ist das heutige Cadiz.
12Von den für die vorzeitliche
Seefahrt erreichbaren Inseln kommen somit nur die Kanarischen
Inseln, die an der westafrikanischen Küste gelegenen
Kapverdischen Inseln, Madeira und seine Nachbarinseln, die etwas
weiter draußen gelegenen Azoren sowie Island in Betracht. Bei
allen diesen Inseln handelt es sich um Vulkaninseln, die ihre
Entstehung Rissen in der ozeanischen Platte verdanken.
13Die Kunst der Metallbearbeitung
beschränkte sich zunächst auf die Edelmetalle Gold und Silber,
auf Blei, Kupfer, Zink und Zinn. Die Verarbeitung des Eisens kam
ursprünglich von den Kelten auf die Römer. Für den genannten
Zeitraum kommt daher eigentlich nur eine bronzezeitliche Kultur
in Frage.
14Von keiner der genannten
Vulkaninseln, so sie als Überreste des versunkenen Atlantis
angesehen würden, ist das Vorkommen von Elefanten bekannt. Die
Nennung dieser Tierart deutet jedoch mehr auf südlichere Gefilde
hin als auf nördliche, wenngleich die Verbreitung des
afrikanischen Elefanten zu damaliger Zeit sicher größer gewesen
sein dürfte als heute. So lange, daß das ausgestorbene Mammut
damit gemeint sein könnte, liegt der genannte Zeitraum aber auch
wiederum nicht zurück, denn das Mammut ist bekanntlich schon vor
langer Zeit ausgestorben bzw. ausgerottet worden.
15Man hat die Insel Thera mit Atlantis
gleichgesetzt, deren Ränder, wie hier beschrieben, allseits sehr
steil aus dem Meer herausragen. Wie Felsennester liegen die
Ortschaften der Insel Santorin noch immer hoch über der
Steilküste an die Hänge geschmiegt. Auf Santorin gibt es jedoch
nicht die in der weiteren Beschreibung genannten, auf
Meeresniveau liegenden Ebenen und höchsten Berge, und es kann
sie auch nie gegeben haben, weil diese Insel wohl zu klein, zu
unfruchtbar sein dürfte, weder von der geographischen
Beschreibung her als außerhalb der Säulen des Herakles gelegen
noch auch von der Größe, so groß wie Asien und Libyen
zusammen, als geeignet erscheinen dürfte, als daß sie Sitz des
ehemaligen Atlantis gewesen sein könnte.
16Die Nennung des Streitwagens setzt
voraus, daß um 9000 v. Christi das Rad bereits als erfunden
angesehen werden kann. In der Tat dürften die ältesten
bekannten Streitwagen auf die Assysrer zurückgehen, deren Kultur
nicht auf die Hälfte der genannten Zeit zurückreicht.
17Der erste bekannte Gesetzestext, der
auf einer Säule eingemeißelt war, ist der von dem baylonischen
König Hammurabi niedergelegte. Somit hatten die Griechen, vor
allem über Herodot, wohl Kenntnisse davon erlangt.
18Hier ist explizit ausgesagt, daß den
Atlantiden die Verarbeitung von Eisen bekannt war.
19An dieser Stelle wird der Untergang
des Atlantidengeschlechts als eine von Zeus, dem obersten Gott,
angeordnete Verfügung interpretiert.